nnehmlichkeit  Der Annehmlichkeiten des Alters sind viele. Die größte liegt in dem Gefühl, daß es nicht weit bis zum Abend ist, da man sich entkleiden und niederlegen kann; daß man nicht mehr aufzustehen und sich anzukleiden braucht. Dadurch, daß der Körper an Kraft verliert, vermindert sich der Widerstand gegen die freien Bewegungen der Seele. Das Interesse für das Zeitliche nimmt ab. Das Auge beginnt aus der Vogelperspektive zu sehen. Große Kleinigkeiten werden in verkleinertem Maßstab ausgelegt. Alte Werte werden umgewertet. Alles, was man erlebt hat, liegt wie Streu unter den Füßen; man steht darin und wächst mitten in seiner Vergangenheit. Man hat eine Konstante mitten unter allen Variablen gefunden; das ist: die Unbeständigkeit des Lebens, die Vergänglichkeit, Veränderlichkeit aller Dinge. Alles wiederholt sich; es gibt kaum noch Überraschungen. Man weiß alles im voraus, erwartet keine Besserung, wird nicht mehr von falschen Hoffnungen betrogen, verlangt nichts von den Menschen, weder Dankbarkeit, noch Treue, noch Liebe, nur etwas Gesellschaft in der Einsamkeit. Wird man betrogen, glaubt man, das gehört zum Stück, und es tröstet einen geradezu, daß es geschieht, weil es unsere Ansicht bestätigt, die man nicht widerlegt wünscht. Man wird schließlich ein heiterer Pessimist, und wenn man bei der Entdeckung eines neuen Betrugs sagen kann, siehe da, was habe ich gesagt, so ist es ein richtiges Vergnügen.  - (blau)

Annehmlichkeit  (2)  Die Annehmlichkeit, weder Familie noch Gesellschaft zu haben, dieser angenehme Geschmack nach Exil, in dem der Stolz des Exilierten, das vage Unbehagen, fern von daheim zu sein, durch eine unbestimmte Wonne mildert — all dies genieße ich auf meine Weise, gleichgültig. Denn ein Merkmal meiner Geisteshaltung will es, daß die Aufmerksamkeit für unsere Gefühle nicht über Gebühr gepflegt, und selbst der Traum von oben herab betrachtet wird, mit dem aristokratischen Bewußtsein, daß er ohne uns nicht Traum sein kann. Dem Traum zu viel Bedeutung beimessen hieße letztlich einer Sache zu viel Bedeutung beimessen, die sich von uns gelöst, sich — soweit sie kann — zur Wirklichkeit aufgeworfen und somit das absolute Anrecht auf unsere Zuvorkommenheit verwirkt hat. - Fernando Pessoa, Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares. Zürich 2003 (22. 8. 1931)

 

Vorteil

 

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