Zug durch die Gemeinde  Sie tranken Tee und Klaren, den er sich mitgebracht hatte, wahrend Dutsch den Schnaps ablehnte, denn er war Kiffer und hörte Schallplatten. Sie sprachen über Sex, Gott, Unidentified Flying Objekts, Magnetismus und Elektrizität, Haschisch, LSD, polizeiliche Verfolgungen und die Zukunft. Sie sprachen auch über andere Sachen. Rottenkopf hatte gehört, daß Dutsch sich anschickte, nach Ceylon und Indien zu fahren und war gekommen, der Geburt eines neuen Menschen beizuwohnen oder die kürzlich erfolgte Geburt eines solchen möglichst frühzeitig zu protokollieren. Fr war noch nicht zu spät gekommen. Er erfuhr eine Menge Neuigkeiten. Dutsch war indessen nichts nachzuweisen. Die Polente soll nur kommen, sagte er.

Als Rottenkopf nach mehreren Stunden, von Schilt, Zigaretten, Tee, Musik und Quatschen völlig gedröhnt den Kurfürstendamm hinunter fuhr, zum Old Vienna, wo sie mit Dutschs Freundin verabredet waren, wunderte er sich über seine Fähigkeit, Auto zu fahren. Im Lokal führte er nur ein Telephongespräch mit Bettina. Dutsch fuhr seine Freundin zur Landhausstraße und Rottenkopf ging mit ihnen hinaus. Den Kerl, der gleich an der Tür auf ihn zutrat, schlug er sofort zusammen, ehe er selbst noch irgendeinen Hieb gefangen hatte. Er fuhr nach Hause, wo Rambow schon auf ihn wartete und Bettina Zwiebelsuppe gekocht hatte. Rottenkopf zeigte seinen Söhnen einige Spiele und lehrte sie Wortspielereien. Er machte sie auf den Buchstaben I aufmerksam, indem er sehr viele Worte mit I sprach und den Buchstaben mehrere Sekunden lang zog. Nachdem er die Zwiebelsuppe gegessen und eine Flasche Rotwein getrunken hatte, beschloß er, den Rest des Abends nur noch zu Fuß zu gehen.

Die Schweine hatten Tim Ivans hochgehen lassen. Klaus rief an und verabredete sich mit ihnen bei Reimann. Robert Creely sei auch schon in der Stadt, könne aber nicht mitkommen, da er eine anderweitige Verabredung habe. Er bat Rottenkopf Billinger anzurufen und ihm den Treffpunkt durchzusagen. Später, als Rottenkopf sich daran erinnerte, rief er bei Billinger an, gab sich als Mr. Creely aus Mississippi aus und sagte, ein gewisser Klaus habe ihn gebeten anzurufen und ihn zu Reimann zu bitten. Es gehe darum, Rottenkopf endlich fertig zu machen. Billinger zeigte sich sehr erfreut über die Ehre und antwortete in englischer Sprache, obwohl Rottenkopf deutsch gesprochen hatte. Als er mit Rambow und Bettina an der S-Bahn-quelle vorbeikam, gab er vor, zuerst noch wegen Dutsch hier hineinschauen, zu müssen und bat sie schon vorzugehen. Im Lokal befanden sich einige Bekannte und er bat ein Mädchen namens Stefanie erst einmal einen oder zwei doppelte Klare zu bezahlen, was sie auch tat. Inzwischen war ein Mädchen namens Heike gekommen und bat ihn, sich doch einmal um Boris zu kümmern, der seit drei Tagen in der Wirtin sitze. Rottenkopf schickte auch dieses Mädchen zu Reimann und verließ die Quelle, zumal nun auch noch seine Freunde Maler, Buch, Piwitt und Delius hereinkamen, obwohl er die Nase voll hatte von ihnen. Die Invasion von Namen, die plötzlich eingetreten war, peinigte ihn und er beschloß gleich, ihr entgegenzuwirken, Indem er ihre Namentlichkeit zerstörte und damit die ihr anhaftende Entsetzlichkeit verträglich machte. Er notierte sich den Plan, sobald wie möglich ein Stück zu schreiben, das aus der Vorlesung aller Namen des örtlichen Adressbuches bestehen sollte. Langweiliger als das neueste Stück des bekannten ortsansässigen Dichters konnte dieses Stück auch nicht werden. Als er vor das Lokal trat, kam ein Mann auf ihn zu. Rottenkopf erwartete, daß er ihn ansprach. Der Mann holte jedoch nur kurz aus und traf seinen Magen mit voller Wucht. Rottenkopf wurde grün im Gesicht und kotzte.  - (baer)

Zug durch die Gemeinde (2)  Schließlich erhob sich Vladimir, und ehe er fortging, gaben ihm alle am Tisch die Hand, und er reichte auch dem Zapfer die Hand und trat durch die Glastür des Kastanienbaums nach draußen, ließ aber das Restaurant Zur Linde links liegen, denn hier zapfte man Pilsner, und Vladimir liebte nur sein Zehnrädriges, sein Zehngrädiges. War er aber mit mir zusammen, dann lud ich ihn vom Kastanienbaum Zur Linde ein, er gab nach und kam mit. Um anschließend ein Stück weiter zu gehen, zu seinem Büfett am Russischen Hof, dort bestellte er sich Essigwürstchen oder sauer eingelegten Fisch und holte zwei Glas Zehngrädiges herbei. Hier beim Hof war es immer dunkel, hier herrschte Stille, hier tranken Zigeuner, zufällige Spaziergänger ihr Käffchen oder ihr Bier, hier am Russischen Hof konnte man sich nicht setzen, hier gab es nur Stehtische, hier war es, im Vergleich zu den anderen lebhaften Kneipen, still und ruhig. Übrigens war bei der Haltestelle ein Lokal, wo man sein Bier auch im Stehen trank, wo es auch nur Stehtische gab. Doch vom Russischen Hof ging Vladimir nach Liberi weiter, um Herrn Vanista zu besuchen, in der Kneipe Bei Hausman, dort hatte Vladimir seinen großen Bewunderer, Herrn Vanista, Wirt und Zapfer und Essenservierer in einer Person, Herr Vanista hieß seinen Freund Vladimírek willkommen, gab ihm die Hand, hielt ihn bei der Schulter und sah ihm m die Augen, als blicke er in die Glühbirne eines Kronleuchterchens. Und sogleich brachte er ihm ein Zehngrädiges, und sogleich setzte er sich zu ihm, und sogleich fragte er ihn aus, wie es ihm gehe und was er so mache... Und stets wurde Herr Vanista belohnt, denn Vladimir, der zuerst scheu und mit leiser Stimme seine Sorgen vortrug, faßte nach einer Weile Mut und bezog dann wieder die zufälligen Gäste, die an seinem Tisch saßen, in seine Monologe ein, und hatte Herr Vanista sich gelabt und Vladimírek den anderen überlassen, dann erhob er sich schwerfällig, lächelte, Vladimirek schien ihn erquickt zu haben, denn er blinzelte und ließ die Tränen aus den Augen tropfen und sagte mit klarer Stimme zu der ganzen Kneipe: Da sieht man's, Vladimir ist ein Künstler! Darauf ging er in die Küche und machte sich von neuem daran, seine Zehngräder zu zapfen, nachdem er zuvor die Gläser, seine Gläschen ins Spülbecken getaucht hatte, in das aus einem zinnernen Hahn unablässig Wasser floß, und leerte m einem Zug sein Bier, das immer angezapft war, da er gern sein Smichover Bierchen trank. Manchmal ließ Vladi-mir die Kneipen in Vysocany aus und kehrte gleich bei Herrn Vanista ein. Von Herrn Vanista ging er gern in die Alte Post, wo es still war, dort schrieb er immer, wenn er das Bedürfnis hatte, seine Briefe, ja seine Briefe, deren Zeilen aus der Hüfte schossen, doch hier trank er zu seinen unheilverkündenden Botschaften einen bitteren Obstwein, ein paar Gläser Obstwein, und hatte er Durst, genehmigte er sich ein kleines Bier und dann noch eins. Und so weiter, die wenigen Stammtische, hier in der Alten Post gab es nur Stammgäste, verstummten alle, Vladimlr wußte das und kam deshalb gern in die Alte Post, urn seine Briefe zu schreiben, und während er den Obstwein trank, während er sich vorsagte, was er schreiben sollte, schauten die Gäste ihm zu, erschlafften, rätselten, was der schöne Mensch wohl schreibe, die Kellnerin, zu jener Zeit war die Zapferin und" Serviererin von Bier und kalter Salami und warmer Wurst eine Zigeunerin, und die dirigierte vom Schanktisch aus Vladimirs Schreiberei, auf Zehenspitzen brachte sie das nächste Glas Obstwein und guckte über seine Schulter auf die nächste Seite. Vladimir schrieb so lange, bis er leer war, Dutzende von Seiten schrieb er voll und präsentierte sich allen, die hereinkamen oder schon saßen, als Verfasser drohender und verletzender Briefe... Wenn Vladimir sich erhob, um auf sein schönes Pissoir zu gehen, ließ er seine Schriften immer wie einen geöffneten Fächer auf dem Tisch liegen, denn er wußte genau, daß nicht nur die Kellnerin, sondern auch mancher Gast so keck war, ehe er wiederkam, einen Blick in diese graphische Botschaft zu werfen, weil Vladimirs Handschrift seinen aktiven graphischen Blattern glich. Kam Vladimir dann zurück, setzte er sich hin, holte Luft und sah, daß er jetzt eine ganze Dimension dazugewonnen hatte, daß die Leute, die den Inhalt der Briefseiten gesehen und erkundet hatten, sogar entsetzt waren, einige zahlten dann lieber und gingen fort, um nicht aussagen zu müssen, um behaupten zu können, daß sie sich an nichts erinnerten, daß sie im Lokal zur Alten Post weder etwas gesehen noch gehört hätten... Und Vladimir war glücklich und schrieb weiter und trank weiter seinen Obstwein ... Schließlich zahlte er, gab Trinkgeld, erhob sich, steckte, wenn auch taumelnd, die Blätter mit seiner Botschaft in einen großen Umschlag, fuhr mit den Lippen über den Leim am offenen Ende und klebte zu, schrieb die Adresse drauf und ging hinaus, gefolgt von den bewundernden und entsetzten Blicken der Kellnerin und eines Gastes der Alten Post, ein Stückchen weiter draußen war ein Briefkasten, und Vladimir trommelte, wenn er den doppelt frankierten Brief eingeworfen hatte, mit der Faust auf den Briefkasten, und diese Paukenschläge dröhnten so laut, daß es die Kellnerin und die Gäste des Lokals gleich daneben, hinter der Wand, durchfuhr... Dann ging Vladimir weiter, erst oben bei der Palmovka machte er halt, trank im Stehen ein Zehngrädiges, guckte nach draußen, auf die Taxis, auf die Straßenbahnen, auf die Gaste der Palmovka, die mit Behagen ihr grauenhaftes Essen einschaufelten, da stand er, leicht an den hohen Stehtisch gelehnt, im Dunst des Pissoirs, das gleich neben der Tür zur Küche lag, wo im Dunst der verschiedenen Soßen und Suppen, die auch zwischen die Ritzen des aufgeklebten Linoleums geflossen waren, die Köchin samt ihrer Gehilfin schweißüberströmt arbeitete. Vladimir empfand für diese Frauen stets großes Mitleid, er guckte und sah noch einmal hin und wollte seinen Augen nicht trauen, daß diese Arbeiterinnen in der Küche noch genügend Zeit hatten, loszupru-sten, mit dem Ellbogen eine Haarsträhne hochzuschieben, die aus dem enganliegenden, feuchten, weißen Kopftuch gerutscht war, und Vladimir mit einem Blick ihrer schönen Frauenaugen zu bedenken. - Bohumil Hrabal, Ein Dandy im Schlosseranzug. In: B. H., Leben ohne Smoking. Frankfurt am Main 1993
 
 

Besuch

 

  Oberbegriffe
zurück 

.. im Thesaurus ...

weiter im Text 
Unterbegriffe

 

Verwandte Begriffe
Kneipentour
Synonyme