rschmutz     Das Taxi fährt unbeachtet an diesen menschlichen Orten entlang wie an einer Mauer aus Jahrhunderte alter Geduld: eine Geduld, die voller Wunden, aber nicht verzagt ist. Was hier hüttenähnlich, verseucht, schmutzig und schwankend zwischen Rinnsalen und Abfällen steht, erweckt seltsamerweise ein befreiendes Gefühl: es wird überhaupt nicht versucht zu verschleiern, zu verbergen, abzulenken; gelassen erlebt man hier den fundamentalen Schmutz des Daseins, dessen finstere Seite als Exkrement; ich komme aus einem Kontinent strahlend weißer Klos und wurde mitten in eine Welt geschleudert, die ohne Scheu mit ihren Exkrementen prunkt. Diese Welt - so entdecke ich jetzt einfürallemal - ist nicht nebenbei schmutzig, sondern sie ist es ihrem Wesen nach, beständig und gelassen; aber dieser Schmutz ist etwas anderes als unserer, der Schatten einer Zivilisation, die ihre Ausscheidungen in Käfigen aus makellosem Porzellan abfängt, das hier ist der Ur-Schmutz, der ursprüngliche Schmutz, den wir verleugnet haben wie unseren ganzen Körper samt Härchen, Nägeln, Schweiß, Genitalien und Sphinkter. Hochgelobt sei der Sphinkter: ich fahre mitten durch eine anonyme sterbliche und tödliche Welt, die aber noch nicht einmal begonnen hat, das glückselig dreckige Ganze ihres Körpers zu fürchten. Was ich hier empfinde, ist eigenartig, es überwiegt ein verwundertes und unbotmäßiges Glücksgefühl: Auch wenn ich weiß, daß ich dieser Welt nicht würdig bin, die so herrlich von ihrer Diesseitigkeit durchdrungen ist.   - Giorgio Manganelli, Das indische Experiment. Berlin 2004 (zuerst 1992)
 
 

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