nterschieben   «Ich bin jetzt Miaos, des Tigers, Sklave und muß mich für ihn quälen. Er muß einen anderen töten, bevor ich frei sein kann. In drei Tagen soll ein Mann im Gewand und im Hut eines Gelehrten am Fuße des Ts'ang-lung-Berges von dem Tiger gefressen werden. Sieh zu. daß du an diesem Tag einen Herrn dorthin bringst, so daß deinem alten Freund geholfen ist.» Chin fürchtete sich zu sehr, als daß er viel gesagt hätte, doch er versprach zu tun. was ihm aufgetragen war, und ritt nach Hause. Dort sann er über die Angelegenheit nach, und weil er sie für eine Intrige hielt, beschloß er, sein Versprechen zu brechen und den Freund seinem Schicksal als Teufel des Tigers zu überlassen. Dennoch wagte er es, die Geschichte Herrn Chiang, einem Verwandten und Gelehrten der Stadt, zu berichten: und da dieser gegen einen anderen Gelehrten namens Yu einen Groll hegte, weil er bei der Prüfung genauso gut abgeschnitten hatte wie er selbst, beschloß er, ihn zu zerstören. Er bat Yu, ihn am fraglichen Tag zu dem besagten Ort zu begleiten, und fügte hinzu, er selbst wolle unbekleidet dort erscheinen.

Yu konnte sich keinen Reim darauf machen; doch als er an die vereinbarte Stelle gelangte, fand er allerlei Wein und Speisen zu seiner Unterhaltung. Nun war gerade an diesem Tag der Präfekt auf dem Berg: und da er ein Freund der Familie Chiang war und hörte, daß Chiang sich am Fuße des Berges aufhielt, schickte er nach ihm, um ihn zu holen.

Chiang wagte nicht, unbekleidet vor ihm zu erscheinen, und er borgte sich Yus Kleider und Hut; doch kaum hatte er sie übergestreift, brach der Tiger aus dem Gebüsch und trug ihn in seinem Rachen davon.  - P'u Sung-Ling, Gast Tiger. Stuttgart 1983. Die Bibliothek von Babel Bd. 21, Hg. Jorge Luis Borges

Unterschiebung  (2)  Der Reporter eines illustrierten Blattes aus Turin war lang vor dem Morgengrauen auf den Gipfel des Colombier gestiegen, um den Schauplatz des Raubes im Glanz des Sonnenaufgangs zu fotografieren. (Die Unzahl von Aufnahmen, die seine Kollegen bei jeder Tageszeit und Temperatur gemacht hatten, erklärt den Wunsch nach einer neuen Variante.)

Ebenso aber wie Marie-Therèse und ihre Verwandten nicht wieder herabgestiegen waren, stieg auch der Reporter nicht wieder herab.

Große Aufregung in Artemare. Man trat zusammen, führte Reden, beratschlagte, und schließlich machte sich ein Häuflein mutiger Männer (in diesem Augenblick fanden sich noch solche) auf den Weg, um den verlorenen Sendling zu suchen.

Sie stiegen bis zum Kreuz. Und hier entdeckten sie den fotografischen Apparat auf seinen drei Beinen in Gesellschaft eines scheußlichen Zwerges, der mit seinem Kröpf und seinen Lumpen im Grase hockte und den niemand kannte. Nicht die mindeste Spur von einem Journalisten - es sei denn, er wäre durch Hexerei in jenen abstoßenden Trottel mit dem Wasserkopf und den kurzen Armen verwandelt worden, der mit stumpfem Tierauge den Rettern entgegenglotzte.

Jene machten halt, spähten rings im Kreise nach der früheren Gestalt des Reporters... aber sie fanden nichts. Da näherten sie sich also seiner jetzigen Gestalt - will sagen, der unmöglichen, abscheulichen Kreatur - und gewahrten bald, daß sie es mit einem unglückseligen, taubstummen Blödsinnigen zu tun hatten.

Während dieser Zeit schöpften sie Mut und rührten ihn an. Bislang hatten sie gefürchtet, sich die Hände bei der Berührung zu verbrennen. Man wollte ihn aufstellen und entdeckte, daß er zum Überfluß auch noch an allen Gliedern lahmte.

So nahmen sie ihn denn mit sich fort sowie den Apparat samt Gestell und begannen den Abstieg.

Wie sie indessen in Virieu-le-Petit anlangten und der Schrecken noch nicht aus ihren Mienen gewichen war, begegnete ihnen ein Ochsentreiber, der Tannenstämme in die Sägemühle von Artemare führte.

Als dieser Mensch den Zwerg erblickte, rief er aus:

»Ho, der Kasper! Was treibt denn der da?«

Und er klärte sie darüber auf, daß nämlich der Idiot ein Bewohner von Ruffieux sei, daß er Tag und Nacht vor der Haustüre seines Vaters an der Landstraße kauere und daß alle Fuhrknechte, Ochsentreiber, Landstreicher und Boten ihn kennten, weil er immer unbeweglich am Wegrand sitze, fast auf allen vieren.

Die Geschichte machte Lärm. Die Unterschiebung eines Trottels von Ruffieux für einen Turiner Journalisten war denn doch teuflisch, und noch dazu auf dem Gipfel des Colombier! - Maurice Renard, Die blaue Gefahr. Frankfurt am Main 1989 (st 1596, Phantastische Bibliothek 225, zuerst 1911)

 

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