ipfel  Der Mont Blanc ragte gewaltig am Horizont empor und leuchtete in den Wolken. Auf dieser Seite fiel der Abhang jäher, schwindelerregend, hinab. Tief unten in ihrem Talgrund erschien die Rhône, lächerlich schmal und unbeweglich, und die Menschen verschwanden wie mikroskopische Kreaturen.

»Halt! Hier sind wieder Schritte. Aber steigen sie hinauf oder herunter?«

»Kümmern Sie sich nicht darum«, gab Robert dem Doktor zur Antwort. »Das sind die meinigen und die von Maxime... Sie werden mich gleich verstehen. Wir sind gestern in unsere eigenen Spuren getreten, um die Richtungen nicht zu vermehren.«

Sie setzten ihre Randwanderung fort und umschritten auch das Kreuz. Da sie ziemlich weit unterhalb desselben blieben, erblickten sie nur dessen obere Partie.

Und zehn Minuten, nachdem sie ihn verlassen hatten, gelangten sie zu ihrem Ausgangspunkt zurück: sie hatten den Umfang der Schneekuppe völlig umschritten, ohne die geringste Spur, die abwärts führte, zu finden.

Monbardeau und Le Tellier riefen gleichzeitig: »Sie sind da oben geblieben!«

Der Widerschein des Schnees ließ ihre bleichen Züge noch bleicher erscheinen.

»Donnerwetter, natürlich!« bestätigte Tiburce. »Sie sind nicht heruntergestiegen, weil sie oben geblieben sind!« Le Tellier taumelte.

»Robert, Robert! Warum haben Sie uns nicht früher...« »Steigen wir jetzt hinauf«, sagte der Sekretär, »ich bitte nur einen Umweg zu machen, damit diese drei Spuren hier recht genau und recht vereinzelt bleiben.«

Die Spitze des Hohen Colombier ist nichts weniger als eine ausgedehnte Fläche. Sie verläuft in einem etwa zwei Meter breiten und dreißig Meter langen Grat. Doktor Monbardeau kletterte mit einer Art von Raserei, kam als erster oben an und blieb starr vor Verblüffung vor dem Kreuzpfahl stehen. Da, wo seine Phantasie bereits die Leichen seines Sohnes, seiner Schwiegertochter und seiner Nichte hatte liegen sehen, befand sich niemand. Befand sich nichts. Nichts? O doch!

»Henris Stock! Sein Stock! Zerbrochen! Er ist zerbrochen!« »Nichts anrühren!« schrie Maxime von weitem, »das ist wichtig, nicht anrühren!«

»Aber die Fährten, die Fährten?« ... fragte Le Tellier. »Die Fährten müssen doch... nein! Das ist zu toll!«

Wahrhaftig, es war zu toll.

Die dreifache Spur stieg bis zum Grat, und hier hörte sie plötzlich auf. Die Verschwundenen waren wohl bis auf den Gipfel des Colombier gelangt, aber sie waren nicht herabgestiegen, und dennoch befanden sie sich nicht mehr oben.  

- Maurice Renard, Die blaue Gefahr. Frankfurt am Main 1989 (st 1596, Phantastische Bibliothek 225, zuerst 1911)

 

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