raumpuppe
Es geschieht wohl auch, daß ich in einem verzauberten Hospital eine
Puppe besuche, die in einem weißen Zimmer am Grunde des Alkovens auf der Kopfrolle
ihres Bettes sitzt. Das Kreuz an der Wand über ihr umrahmt den riesigen Kopf
aus bemaltem Leichtholz. Grob gefertigt, mit grausamem Blick und mit einer Furienperücke,
wie man dergleichen, als wollte man sie damit erschrecken, den Neugeborenen
in die Wiege legt: gleich erkannte ich in diesem unzerbrechlichen Popanz eine
der frühesten Gefährtinnen meines Lebens. Ich entsinne mich, daß ihr
Haar schlecht roch und daß wir beide, meine Schwester und ich, uns abwechselnd
über sie beugten, um diesen Geruch einzuatmen. Sie war ein wenig unsere Sklavin,
diese Puppe, und wenn sie sprach, sagte sie zu uns: «Ich bin genötigt, mich
damit zu langweilen, daß ich euch unterhalte, um meinen Lebensunterhalt zu verdienen.»
Sie war durchaus nicht unterhaltsam; steif und reglos wie ein Götzenbild saß
sie auf ihrem Stuhl, bis wir eines Tages beschlossen, uns damit zu unterhalten,
daß wir ihr die Langeweile vertrieben. Das war eine Freude für uns, vielleicht
auch für die Puppe, denn manchmal schien sie uns zuzulächeln. Und sieh, auch
heute löst sie sich bisweilen von ihrem unveränderlichen Kreuz, mit großer Sanftheit
neigt sie sich mir zu: aber die unheimlichen Einzelheiten ihres Gesichtes hindern
mich, sie zu sehen, und ihre von einem Schleier verdeckten Zähne malmen traurige
Worte, die nicht zu verstehen sind. - Marcel Jouhandeau, Elise. Reinbek bei Hamburg
1968 (zuerst 1933 ff.)
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