jost   Ein Ritter in voller Rüstung trug dazumal — zumindest in der schwerstgerüsteten Zeit — sein eigenes Gewicht in Metall mit sich herum, manchmal auch mehr. Häufig wog er nicht weniger als zweiundzwanzig stone, was, rund gerechnet, dreihundert Pfund sind, und bisweilen gar fünfundzwanzig, also dreihundertfünfzig. Dies bedeutet, daß sein Pferd ein langsamer Gaul sein mußte, der gewaltige Gewichte zu tragen imstande war, ähnlich einem Ackergaul der neueren Zeit, und daß seine eigenen Bewegungen durch die Last von Eisen und Polsterung derart behindert wurden, daß er sich nur langsam fortbewegen konnte, dem Zeitlupentempo im Kino vergleichbar.

»Es geht los!« rief Wart und hielt vor Erregung den Atem an.

Gemächlich und majestätisch setzten sich die gewichtigen Gäule in Gang. Die Speere, die in die Luft gezeigt hatten, senkten sich in die Horizontale und wiesen aufeinander. König Pellinore und Sir Grummore schlugen ihren Pferden die Hacken in die Flanken, daß es nur so eine Art hatte, und innerhalb weniger Minuten beschleunigten die rasanten Rösser ihre Gangart zu einer erd-erschütternden Art von Watscheltrab. Klirr, rumm, bumm-bumm machten die Pferde, und nun wedelten die beiden Ritter rhythmisch mit ihren Ellbogen und Beinen, wobei sie hoch im Sattel wippten. Dann änderte sich der Takt: Sir Grummores Gaul vollführte wirklich und wahrhaftig einen Handgalopp. Kurz darauf tat König Pellinores Pferd das gleiche. Es war ein pompöses Spektakulum.

»Du meine Güte!« rief Wart, der sich schämte, weil sein Blutdurst die Veranlassung dafür war, daß diese beiden Ritter vor ihm tjostierten. »Werden die sich vielleicht töten?«

»Gefahrvoller Sport«, sagte Merlin und schüttelte den Kopf.

»Da!« rief Wart.

Mit einem gewaltigen Gestampfe der eisenbeschlagenen Hufe, das einem das Blut gerinnen ließ, trafen die mächtigen Recken aufeinander. Beide Speere wankten kurz in der Nähe des Helms des jeweiligen Gegenüber — jeder hatte den schwierigen Punktstoß gewählt —, und dann galoppierten sie in entgegengesetzter Richtung davon. Sir Grummore trieb seinen Speer tief in die Buche, auf der die beiden saßen, und hielt an. King Pellinore, mit dem es durchgegangen war, entschwand ihren Blicken.

»Kann ich wieder kucken?« erkundigte sich Wart, der im kritischen Moment die Augen geschlossen hatte.

»Kannst du«, sagte Merlin. »Es dürfte ein Weilchen dauern, eh sie wieder in Ausgangsstellung sind.«

»Brrr, brrr, sage ich!« rief König Pellinore kaum hörbar weit hinten im Ginstergestrüpp.

  »He, Pellinore, he!« schrie Sir Grummore. »Kommt zurück, mein Guter, ich bin hier drüben.«

Es dauerte geraume Zeit, bis die verwickelte Lage geklärt war und die beiden Ritter sich wieder in Positur setzen konnten. König Pellinore befand sich jetzt auf der entgegengesetzten Seite, während Sir Grummore ihm auf seinem ursprünglichen Ausgangspunkt gegenüberstand.

»Verräter-Ritter!« rief Sir Grummore.

»Drückeberger, feige, was?« rief König Pellinore.

Wieder legten sie ihre Speere an und attackierten sich mit Donnergetöse.

»Au«, sagte Wart, »hoffentlich tun sie sich nichts.«

Aber die beiden Gäule stolperten geduldig aufeinander los, und die beiden Ritter entschieden sich gleichzeitig für den Fegestreich. Jeder hielt seinen Speer rechtwinklig nach links, und ehe Wart noch etwas sagen konnte, gab es ein ungeheures und doch melodisches Dröhnen. Bang! — tönte die Rüstung, und es klang, als wäre ein Omnibus in eine Schmiede gefahren. Die beiden Kombattanten saßen Seite an Seite auf dem grünen Rasen, während ihre Pferde sich in entgegengesetzter Richtung entfernten.

»Ein prächtiger Fall«, sagte Merlin.

Die beiden Pferde kamen zum Stehen, ihrer Pflicht und Last ledig, und begannen ergeben zu grasen. König Pellinore und Sir Grummore saßen nebeneinander; jeder starrte geradeaus und hielt den Speer des andern hoffnungsvoll unter dem Arm.

»Jau!« sagte Wart. »War das ein Zusammenstoß! Scheint ihnen aber soweit nichts getan zu haben.«

Sir Grummore und König Pellinore erhoben sich umständlich.

»Verteidige Dich«, rief König Pellinore.

»Gott behüte Dich«, rief Sir Grummore.

Bei diesen Worten zogen sie ihre Schwerter und stürmten mit solchem Ungestüm aufeinander los, daß sie beide, nachdem sie einander eine Beule in den Helm geschlagen hatten, sich rücklings ins Gras setzten.

»Bah!« rief König Pellinore.

»Buh!« rief Sir Grummore.

»Oh Schreck«, sagte Wart. »Was für ein Kampf!«

Die Ritter hatten nun ihre Ruhe verloren und bereiteten sich auf eine ernsthafte Auseinandersetzung vor. Was allerdings nicht allzuviel bedeuten wollte, denn sie waren derart von Metall umschlossen, daß sie keinen großen Schaden anrichten konnten. Es dauerte lange, bis sie sich erhoben hatten, und das Austeilen eines Hiebes war bei einem Gewicht von einer Achteltonne ein solch beschwerliches Geschäft, daß jedes Stadium des Wettkampfes überlegt und berechnet werden konnte.

Im ersten Stadium standen sich König Pellinore und Sir Grummore ungefähr eine halbe Stunde lang gegenüber und droschen auf ihre Helme. Es konnte jeweils nur ein Schlag angebracht werden, so daß sie sich mehr oder weniger abwechselten: König Pellinore schlug zu, während Sir Grummore ausholte, und umgekehrt. Anfangs hielten sie es so: hatte einer von ihnen sein Schwert fallenlassen oder in die Erde gestoßen, bekam er von dem anderen zwei oder drei Extrahiebe, während er ungerührt nach seiner Waffe grapschte oder sie aus dem Boden zog. Später betrieben sie das Ganze in größerem Gleichmaß — wie mechanische Spielzeugfiguren, die unterm Weihnachtsbaum Holz sägen. Schließlich wurde durch die Anstrengung und Monotonie ihre gute Laune wiederhergestellt, und dann kam Langeweile auf.

Zur Abwechslung ging man, nach allgemeiner Übereinkunft, zum zweiten Stadium über. Sir Grummore stapfte zum einen Ende der Lichtung, während König Pellinore zum anderen stampfte. Dann machten sie kehrt, schwangen ein- oder zweimal rückwärts und vorwärts, um ihr Gewicht auf die Sohlen zu kriegen. Wenn sie sich nach vome beugten, mußten sie ein paar Schritte laufen, um nicht aus dem Gleichgewicht zu kommen, und wenn sie sich zu weit nach hinten lehnten, fielen sie um. So entwickelte sich also auch das Gehen zu einer komplizierten Angelegenheit. Hatten sie nun ihr Gewicht derart ausbalanciert, daß es sie leicht vornüber zog, dann setzten sie sich in einen schwerfälligen Trab, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren, und stoben aufeinander los wie zwei urige Eber.

In der Mitte trafen sie sich, Brust an Brust, mit dem Getöse eines Schiffsuntergangs und großem Glockengeläute; sie prallten aneinander ab und schlugen außer Atem rückwärts auf den Boden. So blieben sie ein paar Minuten keuchend liegen. Dann rafften sie sich mühevoll wieder auf, und es war ihnen anzumerken, daß sie neuerlich die Geduld verloren.

König Pellinore verlor nicht nur die Geduld, sondern schien durch die Wucht des Zusammenpralls einigermaßen verwirrt zu sein. Er stand nach der verkehrten Seite hin auf und konnte Sir Grummore nicht finden. Hierfür gab es eine gewisse Entschuldigung, da er ja nur durch einen schmalen Schlitz zu lugen imstande war — und der befand sich infolge der Strohpolsterung noch etliche Fingerbreit von seinen Augen entfernt —, doch wirkte der König ohnehin etwas benebelt. Vielleicht war seine Brille zerbrochen. Sir Grummore nahm flink seinen Vorteil wahr.

»Nehmt dies!« rief Sir Grummore und versetzte dem unglücklichen Monarchen einen beidhändigen Schlag aufs Haupt, da dieser langsam seinen Kopf hin und her bewegte und in die falsche Richtung glotzte.

König Pellinore drehte sich mürrisch um, sein Gegner indes war schneller. Er machte die Drehbewegung mit, so daß er sich weiterhin im Rücken des Königs befand. Und wieder gab er ihm einen horrenden Hieb auf dieselbe Stelle.

»Wo seid Ihr?« fragte König Pellinore.

»Hier«, rief Sir Grummore und schlug zu.

Der arme König drehte sich so behend wie möglich um, doch Sir Grummore kam ihm wieder zuvor.

»Horridoh!« krähte Sir Grummore, zu einem weiteren Schwertstreich ausholend.

»Ihr seid ein Prolet«, sagte der König.

»Schlag zu!« erwiderte Sir Grummore und tat selbiges.

Das wiederholte Krachen, die ständigen Schläge auf den Hinterkopf und die rätselhafte Kampfesweise seines Kontrahenten hatten des Königs Sinne sichtbarlich verwirrt. Unter dem Hagel der Hiebe, die auf ihn niedersausten, schwankte er vor und zurück und wedelte matt mit den Armen.

»Armer König«, sagte Wart. »Ich wollt', er würd' ihn nicht so schlagen.«

Als sollte dieser Wunsch erfüllt werden, hielt Sir Grummore in seinem Bemühen inne.

»Wollt Ihr Pax?« fragte Sir Grummore.

King Pellinore gab keine Antwort.

Sire Grummore vergönnte ihm noch einen Streich und sagte: »Wenn Ihr nicht Pax sagt, säble ich Euch den Kopf ab.«

»Ich sag's nicht«, sagte der König.

Bäng! fuhr ihm das Schwert aufs Haupt.

Bäng! sauste es wieder.

Bäng! zum drittenmal.

»Pax«, sagte König Pellinore brummelnd.

Und als Sir Grummore den Zweikampf zu seinen Gunsten entschieden wähnte und sich im Siege sonnen wollte, da schwang der König herum, brüllte mit äußerster Kraft: »Non!« und versetzte ihm einen ordentlichen Stoß gegen die Brust.

Sir Grummore landete auf dem Rücken.

»Nein aber auch!« rief Wart aus. »So ein Betrug! Das hätte ich nie von ihm gedacht.«

König Pellinore setzte sich geschwind auf die Brust seines Opfers, wodurch er das Gewicht um eine Vierteltonne erhöhte und jede Bewegung unmöglich machte; alsdann löste er Sir Grummores Helm.

»Ihr habt Pax gesagt!«

»Ich hab' Pax Non gemurmelt.«

»Das ist doch Schwindel.«

»Ist es nicht.«

»Ihr seid ein Prolet.«

»Nein, bin ich nicht.«

»Doch, seid Ihr wohl.«

»Nein, bin ich nicht.«

»Doch, seid Ihr wohl.«

»Ich hab' Pax Non gesagt.«

»Ihr habt Pax gesagt.«

»Nein, hab' ich nicht.«

»Doch, habt Ihr wohl.«

»Nein, hab' ich nicht.«

»Doch, habt Ihr wohl.«

Sir Grummore war nun ohne Helm, sein kahler Kopf glänzte, und sein Gesicht war puterrot.

»Ergib Dich, Feigling«, sagte der König.

»Das werde ich nicht tun«, sagte Sir Grummore.

»Ihr müßt Euch ergeben, sonst schlag' ich Euch den Kopf ab.«

»Dann schlagt ihn ab.«

»Nun kommt schon«, sagte der König. »Ihr wißt doch, daß Ihr Euch ergeben müßt, wenn der Helm ab ist.«

»Na und?«

»Gut, dann werd' ich Euch den Kopf abschlagen müssen.«

»Mir einerlei.«

Der König schwang drohend sein Schwert in der Luft.

»Los doch«, sagte Sir Grummore. »Ihr traut Euch ja nicht.«

Der König ließ sein Schwert sinken und sagte: »Ach bitte, so ergebt Euch doch.«

»Ergebt Ihr Euch«, sagte Sir Grummore.

»Aber ich kann mich doch nicht ergeben. Schließlich sitze ich ja auf Euch drauf, oder, was?«  - T.H. White, Der König auf Camelot. Stuttgart 1978 (zuerst 1976)

Tjost (2)

Tjost (2)

Tjost per Autos

-  Luis Murschetz, nach (gold)



 

Turnier Duell

 


Oberbegriffe
zurück 

.. im Thesaurus ...

weiter im Text 

Unterbegriffe

 

Verwandte Begriffe

Synonyme