Stadtgeschichte   Apropos Stadt: Ich habe von den Göttern gesprochen, die eingenäht in Säcken, wahrscheinlich, wie ich ausführte, als Symbol der wichtigsten Handelsware der Stadt, hinter einer auch für einen ausgewachsenen Menschen hohen Mauer in einer Art nichteinsehbarem Teich oder Tümpel, manche sagen auch, es sei eine Meeresbucht, dahintrieben. Wozu das alles?, kann man fragen. Doch ist diese Frage selbst für mich, der ich wohlgemerkt aus einem Zustand der Gnade heraus zu Ihnen spreche, nicht leicht zu beantworten. Nicht, dass ich die Antwort nicht wüsste, sie jedoch in Worte zu fassen, fällt mir nicht leicht. Ich will es dennoch versuchen. Die Affen, Sie erinnern sich, die das Herz des Städtegründers fraßen, der beim Begehen des Bodens, auf dem unsere Stadt entstehen sollte, verstarb, stehen in einer engen Verbindung mit diesen in Säcken eingenähten Göttern. Doch dazu müsste ich etwas weiter ausholen, und ich weiß, Ihre Zeit ist kostbar, ich werde mich also kurzfassen. Manche sagen, und es sind nicht wenige, auch wenn die meisten davon in Forschungsprojekten mitarbeiten, die ihre finanzielle Grundlage von der stoffverarbeitenden Industrie beziehen, manche sagen also, dass es sich bei den Affen nicht um Affen handele - obwohl wir Nachfahren dieser Affen in Zoos bestaunen und in Museen, dort in ausgestopftem Zustand, bewundern -, sondern vielmehr um die Ureinwohner dieses Stückes Land, das wir heute zu Recht unsere Welt und für andere, die nicht Teil unserer Welt sind, die Stadt nennen. Wenn man es von der Seite der stoffverarbeitenden Industrie der Stadt betrachtet, merkt man unschwer, in welch defätistischem Maße - und wir alle glaubten doch, diese plumpe Herangehensweise ein und für alle Mal, zumindest im diskursiven Austausch, überwunden zu haben -, in welchem ungeheuren Maße diese These die wirtschaftlichen Grundlagen der Stadt infrage stellt. Die Affen in Plüsch, die Affen aus Plastik, das Affenfest, das Fest des verlorenen Herzens, der Affenputsch tag, der Magenaufstand, ganze Handelszweige leben vom Affen als Symbol und Ursprung unserer Kultur, wenn auch natürlich allein in dem Sinne, dass wir den Umstand feiern, gerade diesen Ursprung überwunden und hinter uns gelassen zu haben. Wie also sollten wir jetzt einfach, trotz aller neuen und überwältigenden Erkenntnisse, mit unserer Tradition brechen? Mit den schönen Festen? Wenn ich allein an die Kinder denke, und ich bin selbst ein Kind, weiß also, wovon ich rede, kurzum, es gibt gewisse Thesen, die einfach nicht, wie soll ich mich ausdrücken, sagen wir, gesellschaftlich vermittelbar sind. Gott ist tot, gehört zum Beispiel in eine ähnliche Kategorie. Der Affe war ein Ureinwohner vor der Städtegründung, oder: Die Ureinwohner wurden vom Städtegründer ausgerottet, sind weitere. Vergleichbar auch: Hinter dem Puff beginnt das Ödland, das in Wirklichkeit gar nicht öd ist, sondern mit Baracken bebaut. Nein, so kommen wir nicht weiter. Die Industrie- und Handelskammer hat erst unlängst, und dies mit uneingeschränktem Lob von politischer Seite, verlauten lassen, Gott gehöre in den Sack wie der Affe auf den Baum. Dies mag etwas kurz gefasst erscheinen, ist jedoch in der Sache nicht verkehrt.  - (raf)
 

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