Sackthese Am besten, ich zeichne eine kleine Tabelle an: Da also sind die Götter, eingenäht in Säcke, weshalb, wie ich bereits sagte, weiß niemand so genau. Selbstverständlich gibt es Vermutungen, Hypothesen, vielleicht weil die Stadt von der Produktion und dem Export von Stoffen aller Art lebt, sagen diejenigen, die eher einer rationalistischen Begründung anhängen. Natürlich ist die Stadt bekannt für ihre stoffliche Natur, ihre stoffliche Konsistenz sozusagen, die Betonung des Leblosen, aber auch des Kategorischen, da mag man sagen, was man will, doch ob das reicht? Andere selbstverständlich hielten die Sackthese für gänzlich unhaltbar, es handele sich um eine Fehlübersetzung, eine volksetymologische Fehlinterpretation, Sack hieße gar nicht Sack, sondern Lichtermeer oder Strahlenkranz und spiele auf die Irrlichter im Sumpfgebiet an, in die man früher die Götter und all das, was einem lieb und wert gewesen sei, versenkt habe, wodurch sich der Sumpf schon bald mit einer tief in ihm zitternden Bedeutung aufgeladen habe, mit einem metaphysischen Beben, das sich anschickte, selbst die Stellung der Götter zu überschatten, weshalb man, um sie zu erhalten, und dies sei für die städtische Seele unabdingbar gewesen, das Göttliche vom Sumpf und seiner Symbolkraft habe trennen müssen, wodurch sich der Sumpf unversehens zum Sack gewandelt habe, und dies natürlich über mehrere Jahrhunderte, wie überhaupt alles in der menschlichen Entwicklung über mehrere Jahrhunderte hinweg stattfinde, wobei dem Arbeiter in seiner beflaggten Wohnung dies, also der langwährende Prozess der Entwicklung, natürlich nicht auffalle, er auf einmal nur die Wahlkarte in der Hand halte und die Essensmärkchen, ohne auch nur zu ahnen, wo das alles einmal seinen Anfang genommen habe und in welcher Mühsal es sich entwickelte, bis hin zu den zwei Panzern, die jetzt Patrouille fahren und auf den ehemaligen Dickwurzäckern ihre Schießübungen veranstalten, denn mit dem Helm als Essgeschirr in der Hand, vor der Gulaschkanone, noch all die verzweigten Wege zu erkennen, damit sei der Normalbürger natürlich überfordert, weshalb er auf den Korridoren warten solle, bis sein Name aufgerufen werde und man ihm die einzelnen Formulare erst aushändige und anschließend deren Richtigkeit bescheinige.

Die Säcke aber, so viel sei noch abschließend gesagt, symbolisierten den eigenen sterblichen Leib, gleichzeitig natürlich das, womit sich die Weber und Schneider der Stadt befassten, gleichzeitig die alten Bestattungsriten am Sumpf. Die tiefenpsychologische Interpretationsvariante, auf die ich hier nur kurz eingehen möchte, behauptet hingegen, dass mit der Trennung der Götter von dem ihnen anfänglich Heimat bietenden Sumpf eine doppelte Verleugnung vollzogen worden sei, da man den Sumpf allgemein aus dem kollektiven und individuellen Gedächtnis getilgt habe und damit alles, was mit dem Sumpf in einer wenn auch noch so entfernten Verbindung hätte stehen können, zum Beispiel die Ermordung eines Handelsvertreters, die man selbst betrieben oder der man zumindest beigewohnt habe, und vieles andere mehr. Der Sumpf, entstellt zum reinen Symbol des Nicht-mehr-Vorhandenen, schließe damit den Menschen auf eine hintergründige Art wieder an das Göttliche an, denn indem der Mensch den Sumpf gleichermaßen bei seinen Göttern als auch bei sich verleugne, trete er in eine tiefe Verbindung mit eben diesem Göttlichen. Um es auf einen Punkt zu bringen: Gott und Mensch treffen sich in der gegenseitigen Verleugnung.  - (raf)

Sack

Oberbegriffe
zurück 

.. im Thesaurus ...

weiter im Text 

Unterbegriffe

VB

 

Synonyme