reisgestaltung
Es kam so, daß Neapel den vornehmsten Strich der Welt bekam: den
Droschken-Strich. Seine Exklusivität erwies sich allerdings erst nach einiger
Zeit. Die Regiekosten waren nämlich sehr hoch und mußten auf den Kavalier abgewälzt
werden, so daß einerseits dem hohen Preis eine schöne Dame entsprechen mußte,
andererseits der schönen Dame ein zahlungsfähiger Kavalier. Deshalb bildete
sich zunächst folgende Gepflogenheit heraus: die Droschke anhalten, um mit der
Insassin zu reden und sie zu begutachten, war gratis; wer aber, ohne sich schon
endgültig entschlossen zu haben, die Droschke bestieg, war, wenn er nachträglich
gleichwohl sich zurückziehen wollte, verpflichtet, die mitgefahrene Strecke
zu bezahlen. Daß in solchen Fällen nicht nur die bis dahin von der Dame
allein zurückgelegte Strecke angerechnet wurde, sondern oft das Vielfache, war
ebenso verständlich wie die Folge davon: die Herren wurden überaus vorsichtig
und stiegen überhaupt erst ein, wenn man sich über den Gesamtpreis geeinigt
hatte. Da diese langwierigen Unterhandlungen vom Wagen aus zum Trottoir hinab
weder nach dem Geschmack der Damen waren oder nach dem der Herren, vollzog sich
die definitive Siebung: die Droschken wurden nurmehr von Herren angehalten,
die jeden Preis zu zahlen willens waren, und nur jene Damen, die darauf verzichten
konnten, täglich Erfolg zu haben, fuhren auf den Strich. - Walter Serner,
das Geheimnis der Concetta Cappi. In: W.S.: Der Pfiff um die Ecke. Zweiundzwanzig Kriminalgeschichten.
München 1982 (dtv 1741, zuerst 1925)