livenbaum
Hinter einer Reklametafel versteckt, gab eseinen Feldweg, der
zu einem zerfallenen kleinen Bauernhaus führte, daneben ein riesiger ulivo
saraceno, ein Olivenbaum, der bestimmt ein paar hundert Jahre alt war. Er
sah aus wie ein künstlicher Baum, ein Theaterbaum, der Fantasie eines Gustave
Doré entsprungen, eine passende Illustration zu Dantes Hölle. Die untersten
Äste streiften, sich krümmend, den Boden, Äste, die es trotz aller Mühe nicht
schafften, sich zum Himmel zu erheben, und die es sich, wenn sie ein Stück weitergekommen
waren, anders überlegten und beschlossen, Richtung Baumstamm zurückzukehren
und dabei eine Kurve wie einen Ellbogen oder sogar Knoten bildeten. Doch kurz
darauf besannen sie sich wieder anders und machten kehrt, als wären sie erschrocken
vor dem mächtigen, aber mit den Jahren durchlöcherten, ausgedörrten, zerfurchten
Stamm. Und wenn sie kehrtmachten, folgten die Äste einer anderen Richtung als
zuvor. In allem ähnelten sie Vipern, Pythons,
Boas, Anakondas, die
mit einem Mal eine Metamorphose zu Olivenästen
vollzogen hatten. Sie schienen zu verzweifeln, unter dieser Verhexung zu leiden,
in der sie für alle Zeit in einer unmöglichen tragischen Flucht erstarrt waren,
canditi, kandiert, hätte Montale gesagt. Wenn die mittleren Äste
etwa einen Meter Länge erreicht hatten, packte sie sofort der Zweifel, ob sie
sich nach oben wenden oder den Boden anvisieren sollten, um sich wieder mit
den Wurzeln zu vereinigen. - Andrea Camilleri, Das Spiel des Patriarchen. Köln
2012
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