ieder,
freche Sie fragen mich nach meinen Liedern; Sie sagen:
Madame Guilbert, finden Sie es nicht schade, daß Sie nicht mehr
die pikanten Liedchen singen können, die Sie früher gesungen
haben - ah!« Sie wirft die ausdrucksvollen Hände empor, preßt
die Lippen zusammen und senkt den Kopf. »Ach je, daß jemand so
etwas sagen kann, daß irgend jemand mich in dieser Weise mißverstehen
kann. Das waren keine frechen Lieder, Mademoiselle, sie waren
das Leben selbst. Das waren Blumen, die aus dem Rinnstein in
den Himmel geschossen waren; das waren Strähnen vom Haar des
Märtyrers, die über die Jahrhunderte hinweggeweht waren; sie
waren Tropfen Herzblut; sie waren menschliche Leidenschaft und
allzu menschliche Vergeßlichkeit. Denn, ach, ach, die Welt vergißt
zu rasch und zu leicht.
Nein, Mademoiselle. Sie waren respektlos und sie waren sarkastisch
und sie waren scharfzüngig - gewagt waren sie nie. Sie waren
das kleine Federmesser, mit dem man der Bosheit und dem Betrug
das Handgelenk ritzt - das und mehr nicht. - Yvette Guilbert,
nach (
barn
)
Lieder,
freche (2) Yvette Guilbert besaß einen sechsten
Sinn für das echte Volkslied und sang alte Balladen, die sich so anhörten, als
ob sie gestern erst gemacht worden wären: "Ich brauch' das Herz von deiner
Mutter, brauche es als Hundefutter! Und da rennt der Kerl doch fort und begeht
den Muttermord !" - Walter Kiaulehn, Berlin.
Schicksal einer Weltstadt. München 1981 (dtv 1648, zuerst 1958)
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