ärtyrer  Ich empfehle allen Märtyrern, zu überlegen, ob nicht die Rachsucht sie zum Äußersten trieb. - Friedrich Nietzsche

 Märtyrer (2) Das Christentum wurde hier vor ungefähr einem Jahrhundert von Kardinal de la Vigerie — wenn auch nicht persönlich — verbreitet. Er war der Erzbischof von Karthago und Primas von ganz Afrika — ein Kenner von Burgunderweinen, der seine Ordenskleidung bei Jacques Worth anfertigen ließ.

Unter seinen Vertretern in Afrika waren drei weiße Pater — Paulmier, Boerlin und Minoret -, denen, kurz nachdem sie in der verbotenen Stadt die Messe gelesen hatten, von den Tuareg die Köpfe abgeschlagen wurden.

Der Kardinal erhielt die Nachricht in seinem Landauer an der Promenade von Biarritz.
»Te Deum Laudamus!« rief er aus. »Doch ich kann es nicht glauben.«
»Doch«, sagte sein Informant. »Es stimmt.«
»Sie sind wirklich tot?«
»Ja.«
»Welch eine Freude für uns! Und für sie!«

Der Kardinal unterbrach seine morgendliche Spazierfahrt und schrieb drei identische Kondolenzbriefe an die Mütter: »Gott hat Sie benutzt, um ihnen das Leben zu schenken, und Gott benutzte mich, um sie als Märtyrer in den Himmel zu schicken. Diese glückliche Gewißheit dürfen Sie haben.« - (chatw)

Märtyrer (3)  Die beiden Zwillingsbrüder Kosmas und Demian waren in Ägea in Kilikien, wo sie lebten hoch angesehene Ärzte. Sie bekannten sich zum Christentum und versuchten, ihre Patienten während der Behandlung zum Glauben an Jesus zu bekehren.

Zu dieser Zeit herrschten die diokletianischen Christenverfolgungen, vor denen auch die beiden Brüder, die ihren Glauben in der Öffentlichkeit bekannten, nicht unverschont blieben. Der Statthalter Lysias nahm die beiden fest, ließ sie quälen und versuchte auf mehrere Arten ihren Tod herbei zu führen. Da die beiden nicht einmal durch Steinigung und Speerwürfe umkamen, sondern nur Danebenstehende von den Mordwaffen getroffen wurden, enthauptete man sie schließlich. - kathpedia

Märtyrer (4)   Sie hatte die magnetische, die Malstrom-Eigenschaft, derzufolge alles, was in ihren Bewußtseinskreis geriet, in ihr eigenes Dasein eingesogen und eins mit ihr wurde. Das ist eine Eigenschaft, dachte er, die aller Wahrscheinlichkeit nach für die Märtyrer charakteristisch gewesen ist, und die seinerzeit sehr wohl den Großinquisitor, ja Kaiser Nero selber zum Wahnsinn getrieben haben mochten. Die Folterbank, den Scheiterhaufen und die Löwen in der Arena nahmen sie in Besitz und teilten diesen dadurch eine große harmonische Schönheit mit. Aber den Kaiser ließen sie draußen. Wie sehr er sich auch anstrengte, um ihrer Herr zu werden, sie hatten überhaupt kein Verhältnis zu ihm. Ja, er hörte ihnen gegenüber ganz einfach auf zu existieren. Sie waren wie die Höhlen des Löwen, wo alle Spuren hinein-, aber keine hinausführt, oder wie der Fluß, der Blut und Schmutz in seinem eigenen Wesen ertränkt und weiterströmt. Jetzt, als die alte Frau und der junge Mann gerade meinten, sie sei hoffnungslos umzingelt, da stand dies Mädchen da, bereit, aus dem Kloster Seven fortzureiten, gleichwie Samson, als er um Mitternacht aufstand und die Türen im Stadttor und beide Pfosten packte und sie mit den Riegeln hochhob und auf seine Schultern legte und sie auf die Höhe des Berges trug. - (blix)

Märtyrer (5)  Es ist ein Märtyrer. Der Fall ist unbestreitbar. Wenn ich seine Sache vor dem römischen Hof zu plädieren hätte, würde ich das gute Anrecht des Beichtvaters geltend machen: der Pater war nicht nur auf einem gewöhnlichen Hirtengang, und es ist dies kein Streich von Wegelagerern, sondern ein Racheakt: er läßt sich allein durch den Vorsatz eines Lama erklären, eines der teuflischen Handlanger jener Religion und Karikatur der römisch-katholischen Gesten der Liturgie, die sowohl das Weihwasser kennt als auch die Glocken, die Wallfahrten und die Stoßgebete, welche sieben Jahre Sünden vergeben und sieben Quarantänen erlassen. Ein satanischer Konkurrent hat es getan, den göttliches Gewähren mit einem ausgezeichneten Mausergewehr versehen hat, über den Himalaya aus Deutschland importiert... Vorsätzliche Rache des Lama, dem der Pater die Seelen stahl, die er den gelben Sekten entriß, um sie seinem »Jesus darzubringen«. Das Martyrium steht also außer Zweifel. Und trotz der Widerwärtigkeit des Anblicks, trotz des Schleims, der Gedunsenheit und der Flecken, mag man an eine leichte Spiritualität glauben, die über all dies triumphiert...

Vielleicht ein Gebet, von einer lebendigen Stimme gesprochen, um die Seele einzuholen, sie anzurufen, wachzurufen... Vielleicht ein wenig reinigendes Wasser, von römischen Worten geweiht, um den grauen und gelben Stoff des Gesichtes zu waschen, abzulösen...

Von einer weiblichen Hand über der Bahre, aus einem langen, weißen Ärmel, fallen in derTat Tropfen auf den Stoff, auf das Herz... und ein entsetzlicher Gestank breitet sich aus: die ganze dreckige, stinkende Pharmakopöe wird über den Kadaver ausgegossen... Immer noch in der Absicht, den Geruch des Heiligen abzutöten, gießt eine Nonne ein altes Phenolfläsch-chen über ihn aus.

Und man kann das Gesicht aufdecken. Nein, kein Gesicht; es existiert nicht mehr: was einmal das Gesicht war, ist, wenn auch nicht verfault, so doch schwarz und trocken. Alles ist auf die Knochen zusammengeschrumpft. Der Kopf sitzt nun tief im Hals, der Hals im Rumpf; das noch feuchte Mumienantlitz lacht entsetzlich »nach innen«. Ein paar fettige Haare; rote europäische Barthaare. Der Schädel ist fast leer, grün und ausgeflossen. Die Hände, die nicht gefaltet sind und auch nicht schicksalsergeben, ringen ihre schwarzen, trockenen Finger. Man beugt sich vor: die klaffende Öffnung an der linken Schläfe bezeugt, daß der Tod schnell kam, daß der Mann nicht zu leiden hatte. Man preist sich glücklich, daß diesem, zum unsagbaren Selbstopfer Bestimmten nicht die Zeit blieb, dessen ganze Herrlichkeit bewußt, im vollen Bewußtsein seiner Kraft zu erfahren. Als man das Einschußloch sah und erkannte, daß der gelbe Bart keinem Chinesen gehören konnte, nachdem dieser polizeiliche Befund aufgenommen ist, scheint alles in Ordnung zu sein, und man zieht sich jetzt zurück, höflich, aber schnell, wie entfernte Verwandte...

Aber es könnte noch »riechen« heute nacht: Kulis und Kinder, die zu diesem eigenartigen Schauspiel eines europäischen Skeletts herbeigelaufen kommen, machen sich daran, in Trögen Wurzeln der Assa foetida zu zerstoßen. Man zögert. Man geht. Nichts wird in die Lüfte steigen... Nichts ruft ein wenig Spiritualität herauf... Die rauchenden Stäbchen, der heidnische Geruch verzehren sich und erlöschen. Man nagelt den Sarg wieder zu. Die graue Luft steht schwer und unbeweglich. Was soll man denken... an was: kein einziges Gebet, keine einzige Gebärde.

Der verklärte Tote ist nichts als ein Toter. Total in seiner Verwesung. Nichts hat sich bekundet. Der entstellte Mund des Beichtvaters hat nichts bekannt; er hat uns nichts gelehrt, es sei denn durch seinen leeren Schädel, seine verfaulten Augen: den Kadavertriumph des Todes, des Fleisches über den Geist, - nichts, es sei denn den Preis der zeitlichen Dauer selbst, den Preis des Da-Seins, des Sehens, des Fühlens und Denkens. Stärker als der abscheuliche Balsam der Medizin stieg das Parfüm des Lebens empor.

Nach beendetem Geschäft hat der Bischof den verehrten Anwesenden höflich gedankt und sich, besorgt ob des möglichen Unwohlseins, auf den Weg nach Hause gemacht... einladend, einfach und väterlich...

- Nun, meine Herren, ein Gläschen Meßwein, gegen die »Miasmen«.   - Victor Segalen, Aufbruch in das Land der Wirklichkeit. Frankfurt am Main und Paris 1984  (zuerst 1924)

Leiden, fromme Religion Leid
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