unst,
verlorengegangene In alten Zeiten muß die ganze Natur lebendiger
und sinnvoller gewesen seyn, als heut zu Tage. Wirkungen, die jetzt kaum noch
die Thiere zu bemerken scheinen, und die Menschen eigentlich allein noch empfinden
und genießen, bewegten damals leblose Körper; und so war es möglich, daß kunstreiche
Menschen allein Dinge möglich machten und Erscheinungen hervorbrachten, die
uns jetzt völlig unglaublich und fabelhaft dünken. So sollen vor uralten Zeiten
in den Ländern des jetzigen Griechischen Kaiserthums, wie uns Reisende berichtet,
die diese Sagen noch dort unter dem gemeinen Volke angetroffen haben, Dichter
gewesen seyn, die durch den seltsamen Klang wunderbarer Werkzeuge das geheime
Leben der Wälder, die in den Stämmen verborgenen Geister aufgeweckt, in wüsten,
verödeten Gegenden den todten Pflanzensaamen erregt, und blühende Gärten hervorgerufen,
grausame Thiere gezähmt und verwilderte Menschen zu Ordnung und Sitte gewöhnt,
sanfte Neigungen und Künste des Friedens in ihnen rege gemacht, reißende Flüsse
in milde Gewässer verwandelt, und selbst die todtesten Steine in regelmäßige
tanzende Bewegungen hingerissen haben. Sie sollen zugleich Wahrsager und Priester,
Gesetzgeber und Ärzte gewesen seyn, indem selbst die höhern Wesen durch ihre
zauberische Kunst herabgezogen worden sind, und sie in den Geheimnissen der
Zukunft unterrichtet, das Ebenmaß und die natürliche Einrichtung aller Dinge,
auch die innern Tugenden und Heilkräfte der Zahlen, Gewächse und aller Kreaturen,
ihnen offenbart. Seitdem sollen, wie die Sage lautet, erst die mannichfaltigen
Töne und die sonderbaren Sympathien und Ordnungen in die Natur gekommen seyn,
indem vorher alles wild, unordentlich und feindselig gewesen ist. Seltsam ist
nur hiebey, daß zwar diese schönen Spuren, zum Andenken der Gegenwart jener
wohlthätigen Menschen, geblieben sind, aber entweder ihre Kunst, oder jene zarte
Gefühligkeit der Natur verlohren gegangen ist. - Novalis, Heinrich von Ofterdingen
|
||
|
||