rzt So sind die Leute in meiner Gegend. Immer das Unmögliche vom Arzt verlangen. Den alten Glauben haben sie verloren; der Pfarrer sitzt zu Hause und zerzupft die Meßgewänder, eines nach dem andern; aber der Arzt soll alles leisten mit seiner zarten chirurgischen Hand. Nun, wie es beliebt: ich habe mich nicht angeboten; verbraucht ihr mich zu heiligen Zwecken, lasse ich auch das mit mir geschehen; was will ich Besseres, alter Landarzt, meines Dienstmädchens beraubt! Und sie kommen, die Familie und die Dorfältesten, und entkleiden mich; ein Schulchor mit dem Lehrer an der Spitze steht vor dem Haus und singt eine äußerst einfache Melodie auf den Text:
»Entkleidet ihn, dann wird er heilen,
Und heilt er nicht, so tötet
ihn!
'Sist nur ein Arzt, 'sist nur ein Arzt.«
Dann bin ich entkleidet und sehe, die Finger im Barte,
mit geneigtem Kopf die Leute ruhig an. Ich bin durchaus gefaßt und allen überlegen
und bleibe es auch, trotzdem es mir nichts hilft, denn jetzt nehmen sie mich
beim Kopf und bei den Füßen und tragen mich ins Bett. Zur Mauer, an die Seite
der Wunde legen sie mich. Dann gehen alle aus der Stube;
die Tür wird zugemacht; der Gesang verstummt; Wolken
treten vor den Mond, warm liegt das Bettzeug um mich; schattenhaft schwanken
die Pferdeköpfe in den Fensterlöchern. »Weißt du,« höre ich, mir ins Ohr gesagt,
»mein Vertrauen zu dir ist sehr gering. Du bist ja auch nur irgendwo abgeschüttelt,
kommst nicht auf eigenen Füßen. Statt zu helfen, engst du mir mein Sterbebett
ein. Am liebsten kratzte ich dir die Augen aus.« - (
kaf
)
Arzt (2) Gatti befindet
sich wohl, impft, verdient Geld und verachtet es, ärgert sich darüber, daß man
ihn gern hat, und möchte gern ein schmutziger Bettler sein, hat aber nicht die
Kraft dazu. - (
gale
)
Arzt (3) Ich
weiß eigentlich nicht, weshalb wir so hartnäckig darauf bestanden, ihn als Arzt
anzusehen. Den Naturerscheinungen, den Tieren (vor allem den kleinsten), den
Steinen schenkte er die größte Aufmerksamkeit, doch menschliche Wesen und ihre
Krankheiten flößten ihm Widerwillen und Ekel ein. Vor Blut empfand er Abscheu,
die Kranken berührte er nur mit der Fingerspitze, und wenn er schwere Fälle
vor sich hatte, hielt er sich ein seidenes, in Essig getauchtes Taschentuch
vor die Nase. Er war schamhaft wie ein junges Mädchen, errötete beim Anblick
eines nackten Körpers, wenn es sich vollends um eine Frau handelte, blickte
er zu Boden und kam ins Stottern; auf seinen weiten Reisen über die Ozeane schien
er nie weibliche Bekanntschaften gemacht zu haben. Zum Glück waren damals
bei uns die Geburten Sache der Hebammen und nicht der Ärzte. - Italo Calvino, Der geteilte
Visconte. München Wien 1985 (zuerst 1952)
Arzt (4) Bei all ihrer Gelehrtheit sind die heutigen Ärzte keine »physicians«, wie die Engländer sagen. Sie entfernen sich immer mehr vom Studium und der Beobachtung der Natur. Sie haben vergessen, daß die Wissenschaft eine Art Erbauung bleiben soll, der Reichweite unserer geistigen Antennen unterworfen und angepaßt.
Prophylaxe! Prophylaxe! schreien sie - und um die Rasse zu retten, zerstören sie die Zukunft der Art.
Im Namen welches Gesetzes, welcher Moral und welcher Gesellschaftsordnung
erlauben sie sich, so zu wüten? Sie internieren, sequestrieren, sperren die
markantesten Individuen ein. Sie verstümmeln die physiologischen Genies, die
Träger und Verkünder der Gesundheit von morgen. Sie nennen sich stolz Fürsten
der Wissenschaft und stellen sich, da sie an Verfolgungswahn leiden, zugleich
als deren Opfer hin. Geheimnistuerisch überladen diese Dunkelmänner ihre Sprache
mit griechischem Plunder und schleichen sich in dieser Vermummung im Namen eines
rationalen Krämerliberalismus überall ein. Dabei sind ihre Theorien der letzte
Dreck. Sie haben sich zu Knechten einer bürgerlichen Tugend gemacht, die früher
den scheinheiligen Frömmlern vorbehalten war. Sie haben ihr Wissen in den Dienst
einer Staatspolizei gestellt und die systematische Vernichtung alles dessen
in die Wege geleitet, was von Grund auf idealistisch, das heißt unabhängig ist.
Sie kastrieren Gewaltverbrecher und machen sich sogar an die Gehirnlappen heran.
Senil, impotent und eugenisch wie sie sind, glauben sie, das Böse aus der Welt
schaffen zu können. Ihr Größenwahn wird nur noch von ihrer Gaunerei überboten,
und nur die Heuchelei bremst ihre Nivellierwut, die Heuchelei
und die Lüsternheit.
- (
mora
)
Arzt (4) Als
Sohn des Ixion wurde auch jener Chiron
genannt, der gerechteste unter den Kentauren. In einer
Höhle unter dem Gipfel des Pelion erzog er Göttersöhne und Helden, vor allem
den göttlichen Arzt Asklepios, da er ja selbst der erste Arzt und Kenner
der Kräuter war. Es wurde auch erzählt, Kronos habe ihn in Roßgestalt gezeugt,
mit Philyra, einer Tochter des Okeanos, deren Name »Lindenbaum« bedeutet. Auf
einem alten Vasenbild erscheint er in gestirntem Mantel, einen ausgerissenen
Baum mit der Jagdbeute über der Schulter, neben ihm sein Hund: ein wilder Jäger
und dunkler Gott. -
(ker)
Arzt (5)
Mir klebt die süße Leiblichkeit |
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