Kunst, spanische  Wir kommen also in Port-Bou an, ich steige als erster aus und sehe auf dem von Bewaffneten umstellten Bahnhof drei Figuren hinter einem Tisch sitzen, wie die Mitglieder eines kleinen Tribunals. Es sind Anarchisten. Ihr Chef ist ein bärtiger Italiener.

Auf ihre Aufforderung hin zeige ich meine Papiere, und sie sagen:

„Damit lassen wir dich nicht durch."

Die spanische Sprache ist sicher die an Flüchen reichste der Welt. Im Unterschied zu anderen Sprachen, in denen Flüche und Lästerungen meist kurz und getrennt aufeinander folgen, nimmt die spanische Lästerung leicht die Form einer langen Rede an, in der sich beachtliche Grobheiten, die sich hauptsächlich auf Gott, Christus, den Heiligen Geist, die Jungfrau Maria und die Apostel beziehen, den Papst nicht zu vergessen, aneinanderreihen und eine Folge von beeindruckenden skatologischen Sätzen bilden können. Die Lästerung ist eine spanische Kunst. In Mexiko zum Beispiel, wo doch die spanische Kultur schon vor nunmehr vier Jahrhunderten Fuß gefaßt hat, habe ich nie ordentlich fluchen gehört. In Spanien kann eine schöne Lästerung bis zu zwei oder drei Zeilen lang sein. Wenn die Umstände es verlangen, kann daraus eine richtige Litanei werden.

Eine derartige Lästerung, aufs heftigste hervorgestoßen, war es, was die drei Anarchisten in Port-Bou sich in aller Ruhe anhörten.

Danach ließen sie mich passieren.

Da ich von Lästerung rede, sollte ich noch erwähnen, daß man in alten spanischen Städten, in Toledo zum Beispiel, über den Haupteingängen mancher Häuser lesen konnte: „Betteln und Lästern verboten", und das unter Androhung von Geldstrafe oder kurzer Gefängnishaft.  -   Luis Buñuel, Mein letzter Seufzer. Berlin, Wien, Frankfurt am Main 1985

 

Kunst Spanier

 

  Oberbegriffe
zurück 

.. im Thesaurus ...

weiter im Text 
Unterbegriffe

 

Verwandte Begriffe
Synonyme