ünstlerlokal   Ins Kanabuh sagte ich. Anna hatte mir's gezeigt. Ein Künstlerlokal. Sagt der Name schon. Ein Anathema gegen das bürgerliche Kanapee, bedeutend: wer sein Leben nicht auf sowas geschweift Wohnzimrnerlichem versauern lassen will, der flieht ins Kanabuh, in den Innendekoration gewordenen Protestschrei der ewig Unabhängigen und immer Morgigen. Abends, nachts, wenn die Kanabuhgäste, improvisiert gekleidet, in schwelendem Lichte sitzen und die Tür rasselt auf und einer tritt ein, dann wird er gefragt: und, wie stehts draußen? Grimmig gibt er die Parole zurück: immer noch herrscht das Biedermeier. Buh-buh-buh, brüllen dann di« Gäste im Kanabuh. Dieses Lokal mußte mich bei Susanne empfehlen. Es würde mich allerdings einiges kosten, denn das Kanabuh verkauft sich und seinen Whisky und Wodka nicht billig, weil das Kanabuh wahrscheinlich die Erfahrung gemacht hat, daß die immer Morgigen auch heute schon gut verdienen, daß der Protest so gut wie das Zukreuzkriechen seinen Mann nähren kann. Maler sind es, die ungeduldig ihre Leinwand mißhandeln, die sich am liebsten selbst mit Haut und Haar draufschmieren möchten, um Existenz ins Unbild zu bringen, ersatzweise wird Alogisches draufgebuttert, nicht Blut, nicht Boden, sondern noch Tieferes, Unterirdisches, Tertiäres, Zeugnis gebend von den Mühsalen des Gesteins. Dichter sind es, elektrolytische, dissoziierende Sprachspalter. Zufallsgeneratoren anbetende Zeichensucher, Gedärmebeschauer, verkündend quid portendat prodigium, jede Sorte Mantiker, Teiresiasse, Kalchasse, Haruspexe, die einander erst ertragen, mirari. mirari, quod non rideret haruspex, und doch sind sie es, die dem Jahrhundert periodisch die Schafsdrüsen einsetzen, daß es wieder tollen und blöken kann und im Erkalten immer wieder einen Klassiker abwirft, der sich meiden läßt und leise seinen Verrat kultiviert.

Edmund sagte, das Kanabuh gehöre einem sozialdemokratischen Millionär, Besitzer mehrerer unabhängiger, protestierender, zukunftsträchtiger Zeitungen.   - Martin Walser, Halbzeit. München, Zürich 1971 (zuerst 1960)