- Hermann Lenz, Ein Fremdling. Frankfurt am Main 1988
(st 1491, zuerst 1983)
Maler (2) Du wirst dich erinnern, daß Reynolds einer von denen war, die das Leben zur Kunst gemacht hatten. Er war berühmt wegen seiner Küche, seiner Weiber, seiner genialen Ausbeutung des Daseins. Da kannst du dir das Erstaunen seiner Freunde denken, als er plötzlich aus dem lustigen London verschwunden war und verschwunden blieb, obwohl man ausgekundschaftet hatte, daß er hier in Richmond ein kleines Häuschen sich gemietet hatte. Man traf ihn nie daheim. Garrick, Dr. Johnson, Goldsmith sandten heitere und ernste Briefe; er ließ sich nicht sehen. Man riet auf ein Schäferidyll, machte schlechte Witze und gute Verse. Er blieb. Schließlich kam ein unbestimmtes Gerücht nach der Stadt, er sei in Richmond ernstlich erkrankt. Darauf machten sich Goldsmith und Garrick auf und fanden ihn endlich in einem seltsamen Zustande.
Der wohlgenährte Lebenskünstler stand bleich und hohlwangig in seinem Häuschen vor einem halbvollendeten Bilde, mit dem er leidenschaftliche Selbstgespräche hielt. Aber es waren ihnen unverständliche Laute, es schienen ihnen irre Reden eines Verstandlosen zu sein. Er erkannte die Freunde wohl, doch achtete er nicht auf sie und fuhr fort in seiner seltsamen Weise. Da merkten sie, daß die Zukunft der englischen Kunst auf dem Spiele stand, wagten einen Gewaltstreich und brachten das Bild nächtlicherweile fort.
Am nächsten Tage erwarteten sie einen Ausbruch wilder Leidenschaft.
Aber siehe da — der Maler, als er sein Bild nicht fand, schloß ruhig sein
Häuschen zu, fuhr nach London, bestellte ein gutes Frühstück, nahm sofort
die frühere gute Laune und bald auch die behagliche Lebensfülle wieder
an. Von dem Bilde aber hat er nie gesprochen. - Heinrich Vogel,
Das Bild in der Tate Gallerie. In: Jenseits der Träume. Seltsame Geschichten
vom Anfang des Jahrhunderts. Hg. Robert N. Bloch. Fankfurt am Main 1990
(st 1595, zuerst 1921)
Maler (3) Das hübscheste Berliner
Liebespaar aus dem Biedermeier
waren die Opernsoubrette Johanna Eunicke und der Maler Franz Krüger, 'Pferdekrüger'
genannt. Die Bekanntschaft begann Unter den Linden. Krüger sprach die junge
Dame so gedrechselt an, wie es sich auch heute noch
in Berlin gehört. Er hatte genug Zeit, sich alles zu überlegen, denn die
schöne Sängerin ging vor ihm her. Endlich faßte er sich ein Herz, eilte
nach vorn, schwenkte seinen Zylinder, versuchte, ihr unter den bebänderten
Schutenhut zu gucken und sprach: „Mein Fräulein,
wenn Sie von vom so schön sind wie von hinten, ich könnte der Versuchung
nicht widerstehen, Sie zu küssen!" Darauf
Johanna: „Aber mein Bester, warum küssen Sie mich nicht einfach da, wo
ich am hübschesten bin?" Es wurde eine sehr glückliche Ehe, obwohl
der schöne Franz (den man übrigens auf dem eleganten kleinen Reiterbild
des späteren Wilhelm I. als seinen Begleiter sehen kann) es auch später
nicht lassen konnte, hinter schönen Frauen herzulaufen. Seine noblen Passionen,
Pferde, Hunde, gute Weine, liebten die Berliner ebenso wie seine Bilder.
Seit seinen Tagen hieß ein schicker Junge einfach 'Franz'. Eine Ahnung
von seiner Flottheit klingt in dem alten Berliner Schlager nach: „Immer
nobel, nobel, Franz, wenn dir auch friert!"
- Walter Kiaulehn, Berlin. Schicksal einer Weltstadt. München
1981 (dtv 1648, zuerst 1958)
Maler (4) Ich besuchte Tatlin, den großen Narren,
noch einmal. Er wohnte in einer alten, kleinen und vernachlässigten Wohnung.
Die Hühner, die er sich hielt, schliefen zum Teil in seinem Bett. In einer Ecke
legten sie Eier. Wir tranken Tee, und Tatlin plauderte von Berlin, vom Kaufhaus
Wertheim und von seiner Vorstellung bei Hofe. Hinter ihm, an der Wand, lehnte
eine völlig verrostete Stahldrahtmatratze, ein paar Hühner saßen darauf und
schliefen, den Kopf in die Federn gesteckt. Dies rahmte den guten Tatlin ein,
und als er dann auf seiner selbstgemachten Balalaika spielte — draußen, vor
dem vorhanglosen Fenster, dessen Scheiben teilweise durch kleine Holzbrettchen
ersetzt waren, wurde es schon dunkel —, da erschien er mir keineswegs als einer
jener ultramodernen Konstruktivisten, sondern als ein Stück echten, alten Rußlands,
wie aus einem Buch von Gogol, und ein melancholischer Humor war plötzlich
im Zimmer. Ich habe ihn nie wiedergesehen und auch nie wieder von ihm und dem
seinerzeit so vieldiskutierten «Tatlinismus» gehört. Er soll einsam und vergessen
gestorben sein. - George Grosz, Ein kleines Ja und ein
großes Nein. Sein Leben von ihm selbst erzählt. Reinbek bei Hamburg 1986, zuerst
1955
Maler (5) Ich
hatte stets einen Horror, ein «Berufs»-Maler zu sein. In dem
Augenblick, wo man es wird, ist man verloren... Ich war nie ein
passionierter Maler. Ich hatte nie das olfaktorische Empfinden der
meisten Maler. Diese malen, weil sie den Geruch des Terpentins gern
haben. Ich persönlich malte zwei oder drei Stunden im Tag und konnte
nie schnell genug davon wegkommen. - Marcel Duchamp 1958, nach: Richard Huelsenbeck (Hg.), Dada - eine literarische Dokumentation. Reinbek bei Hamburg 1964
Maler (6)
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