ünstlerin  „Liebe Babette", sagte sie freundlich, „das hättest du aber nicht tun sollen: unsertwegen alles hergeben."

Babette warf der Herrin einen tiefen Blick zu, einen seltsamen Blick - lag nicht Mitleid, vielleicht sogar Verachtung, auf seinem Grunde?

„Ihretwegen?" versetzte sie. „Nein. Meinetwegen."

Sie erhob sich vom Hackklotz und stellte sich den Schwestern gegenüber.

„Ich bin eine große Künstlerin!" sagte sie.

Sie wartete einen Augenblick und wiederholte: „Ich bin eine große Künstlerin, Mesdames."

Von neuem breitete sich für längere Zeit ein tiefes Schweigen in der Küche aus. Dann sagte Martine: „Also bleibst du nun arm fürs ganze Leben, Babette?"

„Arm?" sagte Babette. Sie lächelte wie zu sich selbst.

„Nein. Arm bin ich nie. Ich habe Ihnen gesagt, ich bin eine große Künstlerin. Eine große Künstlerin, Mesdames, ist niemals arm. Wir haben etwas, Mesdames, wovon andere Leute nichts wissen.

Während die ältere Schwester darauf nichts mehr zu sagen wußte, begannen in Philippas Herz tiefe, vergessene Saiten zu vibrieren. Sie hatte schon einmal gehört, lang lang war's her, von diesem Cafe Anglais. Sie hatte schon einmal, vor langer Zeit, Babettes tragische Namensliste vernommen. Sie stand auf und trat einen Schritt auf die Dienerin zu.

„Aber alle diese Leute, die du da erwähnst", sagte sie, „diese Fürsten und hohen Herrschaften aus Paris, Babette - gegen die hast du doch gekämpft I Du warst doch Kommunarde. Der General, von dem du sprichst, hat deinen Mann und deinen Sohn erschießen lassen. Wie kannst du diesen Leuten nachtrauern?"

Babette kehrte Philippa ihren dunklen Blick entgegen.

„Ja", sagte sie, „ich war Kommunarde! Gott sei Dank war ich Kommunarde. Und die Leute, Mesdames, die ich genannt habe, waren bös und grausam. Sie haben das Volk von Paris hungern lassen, sie haben die Armen unterdrückt und gekränkt. Gott sei Dank habe ich auf der Barrikade gestanden und habe für das Mannsvolk die Gewehre geladen. Aber trotzdem, Mesdames, will ich nicht nach Paris zurück, wenn die Leute, von denen ich gesprochen habe, nicht mehr dort sind."

Sie stand regungslos da, in Gedanken versunken.

„Sie müssen verstehen, Mesdames", sagte sie schließlich, „diese Leute gehörten zu mir, es waren meine Leute. Sie waren dazu erzogen und geübt, mit größerem Aufwand, als Sie, meine lieben Damen, auch nur begreifen und glauben können, dazu erzogen, daß sie verstehen konnten, was ich für eine Künstlerin bin. Ich konnte sie glücklich machen. Wenn ich mein Allerbestes gab, konnte ich sie vollkommen glücklich machen."

Sie schwieg einen Augenblick.

„So war es auch mit Monsieur Papin", sagte sie.

„Mit Monsieur Papin?" fragte Philippa.

„Ja, mit Ihrem Monsieur Papin, Sie Arme!" sagte Babette. „Er hat es mir selbst gesagt. Für einen Künstler, hat er gesagt, ist es schrecklich und unerträglich, wenn er dazu ermutigt wird, nur sein Nächstbestes zu geben und dafür noch Beifall bekommt. Durch die ganze Welt, hat er gesagt, schallt unablässig der eine Schrei aus dem Herzen des Künstlers: Erlaubt mir doch, daß ich mein Äußerstes gebe!"

Philippa trat vollends auf Babette zu und umschlang sie mit ihren Armen. Der Leib der Köchin war anzufühlen wie ein steinernes Denkmal; aber sie selber zitterte und bebte vom Kopf bis zu den Füßen.

Eine Zeitlang fand sie keine Worte. Dann flüsterte sie: „Aber dies ist nicht das Ende. Ein Gefühl sagt mir, Babette, daß dies nicht das Ende ist. Im Paradies wirst du die große Künstlerin sein, als die Gott dich schuf. Und ein Entzücken", fügte sie hinzu, und die Tränen liefen ihr über die Wangen, „ein Entzücken, Babette, für die Engel!"   - Tania Blixen, Schicksalsanekdoten. Reinbek bei Hamburg 1988 (zuerst 1958)

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