rrenbordell   Der Vampiraberglaube verkörpert, so bereits Jones, eine besonders komplexe Form des Interesses, das der Lebende am Toten hat, sowohl hinsichtlich des Natürlichen als auch des Unnatürlichen. Im Ghulismus, so wie wir ihn verstehen, ist die Nekrophilie lediglich eine Einbahnstraße. Im Vampirismus dagegen »sucht der Tote zunächst den Lebenden auf und zieht ihn in den Tod, um sich durch diesen Vorgang selbst zu reanimieren«.

Diese Überlegungen sind jedoch sehr oberflächlich. Der Ausgangspunkt, von dem aus der latente Inhalt des Aberglaubens zu untersuchen ist, rekurriert wiederum auf Freuds Diktum, daß eine pathologische Angst immer auf unterdrückte sexuelle Wünsche deutet. Im Vampirismus treten diese offen zutage. Wir betreten hier ein zwielichtiges Grenzland, eine Art mordlüsternes, in einer Gruft liegendes Irrenbordell, wo religiöse und psychopathologische Motive ineinander verwoben sind. Das Schlüsselwort heißt Ambivalenz. Der allgegenwärtige Todestrieb existiert Seite an Seite mit dem Wunsch nach Unsterblichkeit. Entsetzliche Grausamkeit, Aggression und Gier gehen einher mit einer krankhaft besitzergreifenden Abart der Liebe. Schuldgefühle sind allerorten, und sie sitzen tief. Das Verhalten, das sich aus einer unbewußten Welt der infantilen Sexualität herleitet, kollidiert mit dem, was Freud als polymorph perverse Anlage bezeichnet hat. Es ist eine offensichtliche Fixierung auf oraler Ebene mit all ihrem Saugen und Beißen gegenwärtig, aber auch ein großzügiges Gewährenlassen von Analem. Wir werden über die Herkunft des fürchterlichen Gestanks, der den Vampiren anhaftet - eine Mischung aus Leichenhaus und Kloake —, nicht im unklaren gelassen.  - Maurice Richardson, nach: Der Rabe, Magazin für jede Art Literatur Nr. 37, Zürich 1993
 

 

Bordell Irre

 

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