Einer huren begrebnuß Lais die schœn huer von Corinth |
- Andreas Alciatus, Emblematum libellus. Darmstadt
1975 (zuerst 1542)
Hurenbegräbnis (2)
Hurenbegräbnis (3) »Keine Sorge«, krächzt Bandura. »Keiner Hure auf der Welt wurde aufrichtiger nachgetrauert... Und keine einzige wurde feierlicher zu Grabe getragen.«
Für Mariettas Begräbnis wurden die Blumenbeete der Treibhäuser ausgeraubt
und die Gärten der Villen am Stadtrand verwüstet, die Hunde bellten die ganze
Nacht, Doggen jaulten und deutsche Schäferhunde rissen an ihren wie Dornenkränze
aussehenden Halsbändern; die Glieder schwerer Ketten klirrten an gespannten
Stahlseilen entlang, als klängen da die Ketten aller Sklaven der Weltgeschichte,
niemand jedoch konnte ahnen, nicht einmal die alten, müden Gärtner, in deren
kranken Knochen eine Krankengeschichte verborgen ist, gewaltig, wie die Geschichte
des Proletariats, daß in dieser Nacht eine kleine, separate Revolution ausgebrochen
war: die Matrosen aus dem Hamburger Hafen hatten die Kurien der Reichen überfallen
und diese Kinder des Proletariats aus Le Havre, Marseiile, Antwerpen hatten
unter dem Schutz der Nacht alle Gladiolen geschlachtet, hatten sie an den Wurzeln
mit ihren scharfen Matrosenmessern abgeschnitten und mit ihren zerrissenen Stiefeln
alle kleineren Pflanzen niedergetrampelt, die ihrer Klingen nicht würdig schienen.
Die Parkanlagen und Rondelle wurden in dieser Nacht »barbarisch zertreten«,
nicht einmal die städtischen Anlagen wurden verschont, auch nicht der Platz
vor dem Rathaus, »nur zwei Schritte von der Polizeiwache entfernt«. — »Diese
barbarische Tat«, schrieben die Zeitungen, »wurde ohne jeden Zweifel von gewissen
anarchistisch gesonnenen Tätern und hartgesottenen Blumenschmugglern durchgeführt.
« Auf Mariettas Grab wurden ganze Rosenbüsche abgelegt, weiße und rote Rosen,
Pinienzweige mit frischen Einschnitten, Tulpen und Chrysanthemen, echte Tuberosen
und himmelblaue Hortensien, dekadente, sezessionisti-sche Schwertlilien, diese
unzüchtigen Blumen, Hyazinthen und teure, seltene, schwarze Tulpen, Blumen der
Nacht, wächserne, tödliche Lilien, Blüten der Unschuld und der ersten Kommunion,
violetter Flieder, der nach Zersetzung duftet, die Hortensien des Gesindels
und mißgestaltete Gladiolen (von denen gab es am meisten), zartweiße und zartrosarote,
heilige, engelsgleiche Gladiolen mit einer gewissen eingebauten Mystik von Schwert-und-Rose,
und alle mit dem Zeichen der schattenreichen Villen der Wohlhabenden, mit dem
Zeichen des faulen Besitzes, tödliche, üppige Gladiolen, begossen vom Schweiß
der alten, müden Gärtner, von Rasensprengern, dem künstlichen Regen der artesischen
Brunnen, um das kranke, üppige Blühen dieser sterilen, duftlosen Blüten vor
jeder Unbill zu schützen, nicht einmal nach Fisch rochen sie, trotz der phantastischen
Konstruktion ihrer Gelenke, die den Scheren der Hummer so ähnlich sind, trotz
der wächsernen Falten der Blüten und den falschen Fängen der Staubgefäße und
den falschen Dornen der gespitzten Knospen: diese ganze mißgestaltete Üppigkeit
war nicht imstande, aus sich auch nur ein einziges Atom von Wohlduft herauszuquetschen,
nicht einmal so viel wie ein wildes Feldveilchen. Die Krone dieses Pflanzenfeuerwerkes
aber waren aus dem Botanischen Garten geraubte Magnolienzweige, üppige Zweige
mit lederartigen Blättern und je einer großen, weißen Blume an der Spitze, wie
Seidenschleifen in den Haaren jener »Mädchen aus guten Häusern«, die Kamerad
Bandura (mit der ihm eigenen Übertreibung) mit den Hafenhuren verglichen hatte.
Nur die Friedhöfe waren verschont geblieben, denn Bandura hatte in seinem Appell
»an alle Matrosen, an alle Docker, an alle, die sie geliebt haben« nur frische
Blumen gefordert und hatte, zweifellos in einem Anfall fast mystischer Inspiration,
ausdrücklich verboten, Friedhöfe zu schänden. -
(
kis
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