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Patrick Süskind, Das Parfüm. Die Geschichte eines Mörders. Zürich 1985
Friedhof (2) Ali ben Ali, der oft nachts auf dem Friedhof
zu tun hatte, da er für seine Experimente Leichen oder
Teile von Leichen, besonders Herzen, brauchte, war zufällig
Zeuge einer Szene, deren Vorgänge er sich zunächst durchaus nicht erklären konnte.
In der nächsten Nacht ging er wieder hinaus. Die anderen Dämonen,
die alle niedriger Ordnung angehörten, hatten das Spiel ihres Genossen vom Kreuzweg
sehr lustig gefunden und versuchten es nun auch, indem sie sich der Toten des
städtischen Friedhofes bedienten. Ali ben Ali sah zu seinem, nur durch Forschungseifer
gemilderten, Entsetzen, wie die Toten aus ihren Särgen kamen, abenteuerliche
Tänze aufführten, sich prügelten, einander auf den Rücken sprangen und mit ihrem
Unfug den Ort des Friedens und der Stille, die Schatten von Grabfelsen und Trauerbäumen
zum Spiel roher Ausgelassenheit machten. Ali ben Ali gab aus einem Taxusversteck
wohl Obacht; und da die Dämonen, deren Sprache für uns sonst lautlos ist, sobald
sie in den Leibern der Toten steckten, vernehmlich sprachen wie wir, so kam
er bald im großen ganzen hinter den Zusammenhang
des abenteuerlichen Vorganges. Bei einem der nächsten Male aber brachte ihn
ein Zufall noch weiter auf die Spur des Geheimnisses. Einer der Dämonen
fuhr nämlich recht leichtfertig in den Leichnam eines
um die Hebung der Sittlichkeit in jener indischen Stadt sehr verdienten Eunuchen,
welchem eben ein kostbares Grabmonument errichtet werden sollte, und mußte,
nachdem er als Hämmling einen höchst possierlichen Moraltanz aufgeführt, die
unangenehme Entdeckung machen, daß der rückwärts gesprochene Zauber seine Lage
keineswegs änderte, er vielmehr im Eunuchen blieb. - Wilhelm
von Scholz, Seelenwanderungskunst.
In: Jenseits der Träume. Seltsame Geschichten vom Anfang des Jahrhunderts. Hg.
Robert N. Bloch. Fankfurt am Main 1990 (st 1595, zuerst 1916)
Friedhof (3) "Was ist der Unterschied zwischen Zürich und dem Wiener
Zentralfriedhof?", lautet ein alter Witz: "Der Zentralfriedhof ist nur
halb so groß, aber doppelt so lustig." Der Witz ist wirklich alt, denn
die schweizerische Metropole hat ihren Amüsement-Faktor in den
vergangenen Jahrzehnten unbestreitbar steigern können, wohingegen der
Zentralfriedhof nicht mehr ganz so lustig ist wie ehedem. Vor zwanzig
Jahren fanden dort allherbstlich muntere Treibjagden statt.
Selbstredend hatte der Abschuss des Wildes in einer Weise zu erfolgen,
dass "die Pietät gewahrt bleibt", wie es die Verordnung vorschrieb.
Kaninchen und Hasen, die als Bedrohung für die Grabbepflanzungen
angesehen wurden, durften in unbegrenzter Zahl abgeknallt werden,
Fasane nur unter Beachtung der gesetzlichen Schonzeiten, Rebhühner
überhaupt nicht. - Ralf Leonhard (
taz vom 25.11.2006
)
Friedhof (4) ›Vielleicht sind hier die Beamten ?‹ dachte ich und sah durch das Türfenster. Entsetzt fuhr ich zurück; ich hatte in ein langes, schmales Gemach geblickt, in welchem Hunderte von Leichnamen aufgestapelt waren. Sie steckten in grauen Getreidesäcken, die man am Hals zugebunden hatte, so daß nur die Köpfe herausschauten, meistens grünliche Gesichter, die lachten und die Zähne bleckten; — viele wie getrocknet mit staubigen, zerdrückten Augäpfeln — andere waren ganz eingepackt und mit aufgeklebten Adressen versehen. Die vorstehenden Knie und Ellbogen, sowie die Schädelrundungen, ließen die verrenkten Stellungen ahnen. An der Rückwand dieses Leichenmagazins hing eine Tafel, auf der mit großen Lettern geschrieben stand:
Halle für plötzlich Verstorbene.
- Alfred Kubin,
Die Andere Seite. München 1975 (zuerst 1909)
Friedhof (5) Ich sah heute etwas, auf dem noch nie das Auge eines Bürgers geruht hat und dessen Schauder nur ein Schauder von Hörensagen ist: ich sah den Armenfriedhof.
Es sind unter dem blauen Himmel die gelbe Böschung, die graue Silhouette einer Montmartre-Mühle, deren Flügel sich drehen, und zwei große Felder.
Das eine davon, das noch nicht gebraucht wird, aber auf die Toten der nächsten Monate wartet, bildet inmitten des Grüns der es umgebenden Gräber einen großen gelben Fleck. Es ist ein umgegrabenes Lehmfeld, wo, farblos wie der Boden geworden, Sargtrümmer hie und da herumliegen und wo die Steine alten Knochen gleichen. Dieses Feld gelber Erde ist voller Schauder.
Das andere — das andere, das der Tod schon beinahe ganz angefüllt hat — steigt
in drei mit Kreuzen bedeckten Furchen bis zur Friedhofsmauer an; die Kreuze
stoßen am Fuß aneinander; es sieht aus wie ein Niederholz des Todes; oder besser
noch, alle diese dicht aneinandergedrängten schwarzen und weißen Kreuze lassen
einen an den Aufstieg von Gespenstern denken, die sich gegenseitig auf die Hacken
treten. Die drei Streifen Kreuze bedecken drei Ausschachtungen, wo Paris, das
mit dem Boden geizt, seine Toten Sarg neben Sarg unterbringt. Die letzte Ausschachtung
ist noch nicht bis zum Ende gefüllt; ein Brett, das dem Geruch der Verwesung
durchaus nicht das Entweichen verwehrt, trennt uns von dem letzten Toten, und
in dem übrigen Grabenraum schaufeln Arbeiter; die Anhäufung der herausgeworfenen
Erde läßt alle Kreuze des benachbarten Grabens sich neigen und schief stehen.
— Jn dieser scheußlichen Vermengung, in dieser schauerlichen Mißachtung vor
dem Leichnam des Armen sah ich unter all den Kreuzen, die für eine Familie,
für die Freunde die Erinnerung an ein geliebtes Wesen bewahren, — wie lange
aber? Eine Woche, einen Monat? - sah ich auf einem dieser gemeinsamen Gräber
einen im Friedhof gepflückten Tannenzweig mit einem Briefumschlag, der mit einem
Bindfaden daran festgebunden war. - (
gon
)
Friedhof (6) Er lag in eine tiefe,
feuchte Senke gebettet, von geilen Gräsern, Moosen und sonderbaren Kriechpflanzen
überwuchert, und angefüllt von einem unbestimmbaren Gestank,
den meine eitle Phantasie absurderweise mit verrottendem Stein in Verbindung
brachte. Ringsum sprachen die Anzeichen von Verwahrlosung und Hinfälligkeit,
und mich beschlich die Vorstellung, daß Warren und ich die ersten lebenden Wesen
seien, die in das tödliche Schweigen von Jahrhunderten einbrächen. Über dem
Talrand schimmerte zwischen den eklen Dünsten, die aus unsäglichen Katakomben
zu dringen schienen, ein fahler, schwindender Halbmond, und bei seinen schwachen,
zitternden Strahlen vermochte ich eine abstoßende Reihung antiker Steinplatten,
Urnen, Ehrengräbern und Mausoleumsfassaden zu erkennen; alles auseinanderbröckelnd,
moosbewachsen, stockfleckig und teilweise unter der fetten Üppigkeit der ungesunden
Vegetation verborgen. -
H.P. Lovecraft, Die Aussage des Randolph Carter. In: Das unsichtbare Auge. Hg.
Kalju Kirde. Frankfurt am Main 1979 (st 477, Phantastische
Bibliothek 477)
Friedhof (7) Im Überrest der Totenstadt drängt sich das Volk, und sein Benehmen überrascht den Fremden, der die orientalischen Sitten noch nicht kennt. Der Muselmann fürchtet den Tod nicht. Er liebt den Schatten und die Kühle der Mausoleen. Aus dem, was wir im Westen ›Friedhof‹ nennen, haben die Orientalen einen öffentlichen Park gemacht, in welchem der Städter spaziert, ißt und schwatzt. Die Kinder machen dort das Hinkespiel, wobei sie kreischen wie die Vögel. Ganze Familien lassen sich da nieder. Man teilt die Schnitten der roten Wassermelonen, die in Rebenblätter gehüllten Pastetchen, und man findet es schön, im dichten Gras der Friedhöfe zu sitzen und den Rücken an die Grabsteine zu lehnen.
Von Zeit zu Zeit geht eine Frau vorbei. Sie ist geschminkt. Sie wirft einem
einsamen Spaziergänger einen geheimen Blick zu, und die beiden entfernen sich
miteinander zu irgendeinem Hain, in dem sich ein verfallenes Grab verbirgt.
Für die Jünger des Propheten, denen der Himmel versprochen ist, breitet der
Tod schützend seine Arme über die Lust der Liebe. - Maurice Sandoz, Der
Friedhof von Skutari.
In: M. S., Am Rande. Zürich 1967
Friedhof (8) Das um 300 abgehaltene
Konzil von Elvira [i.e. das antike Illiberis bei Granada] untersagt es,
am helllichten Tage auf den Friedhöfen Kerzen anzuzünden, aus Angst, die
Geister der Heiligen
in Unruhe zu versetzen. - D. Calmet,
Abhandlung über die Erscheinungen [1706; hier 1746], nach
(sot)
Friedhof (9) Das Bemerkenswerteste an dieser ehrwürdigen alten Kirche und, wie es mir schien, gleichzeitig das Barbarischste und das, was meine Gefühle der Ehrfurcht am meisten verletzte, mit denen ich dieses altehrwürdige Bauwerk betrachtete, war der Zustand des sie umgebenden Friedhofs. Da in seiner nächsten Nachbarschaft die Wohnungen der zahlreichen Dockarbeiter liegen, wird er in allen Richtungen von Fußwegen überquert und da die Grabsteine nicht aufrecht stehen, sondern flach liegen - und damit eine vollständige Pflasterung bilden -, laufen zahllose Menschen täglich über die Toten hinweg, und ihre Absätze treten die Totenköpfe und gekreuzten Knochen ab, die letzten Erinnerungen an die Verstorbenen. Mittags, wenn die mit dem Laden und Löschen der Schiffe beschäftigten Schauerleute sich für eine Stunde zurückziehen, um eine Mahlzeit zu sich zu nehmen, machen viele ihre Pause auf dem Friedhof. Dann sitzen sie auf dem einen Grabstein und benutzen den nächsten als Tisch, öfters habe ich auf diesen Platten betrunkene Männer schlafen sehen und las einmal, als ich den Arm eines solchen Kerls wegschob, die folgende Inschrift, die eigentlich auf den Lebenden und nicht auf den Toten zutraf:
Hier ruhen die Gebeine
von TOBIAS TRINKER
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Herman Melville, Redburn. Seine erste Reise. In: H. M., Redburn. Israel Potter. Sämtliche
Erzählungen. München 1967 (zuerst 1849)
Friedhof (10) Wir gehen über Hügel, die sich stark und wellig anheben. Wir gehen schon auf Gräbern.
Viele sind eingesunken, überwachsen, Steinplatten stehen unter dem Gras vor.
Die letzte Beerdigung war vor 96 Jahren. An einer Stelle, wo der Hügel sich
senkt, zeigt der naive fromme Mann mit dem Stock: hier haben sich vor langer
Zeit zwölf fromme Juden selbst begraben, als man sie zur Taufe zwingen wollte.
Überall das dichte hohe Gras, Buschwerk, das die Gräber verbirgt. Einzelne Grabsteine
stehen für sich, die meisten in Gruppen. Vertiefungen haben einzelne Steine
wie in Wilno: zum Aufnehmen der bittenden Zettel. Der Führer erzählt ernst,
während er sich häufig mit der Hand schneuzt: «Hier liegen Männer, vor denen
die ganze Welt gezittert hat.» Schöne, reichornamentierte Steine ragen hier,
Tierbilder, Symbole. Er zeigt ein abseits stehendes Grab: «Da liegt ein Kohen.
Täglich kommt ein Vögelein, wenn Sonne ist, und spielt da sein Lied. Verjagt
man es, kommt es wieder.» Eine Gruppe von weisen Männern liegt zusammen, auch
ein Reicher dazwischen: «Er hat ihnen gegeben zum Lernen.» 350 Jahre liegt der
große «Marschall Lurja» von Lublin da; dem haben böse Hände sein Mal umgeworfen
und beschmutzt. Die alten Bruchstücke liegen im Gras; ein neues Mal hat man
ihm errichtet; das preist überschwenglich den Toten: er war eine Leuchte von
Israel, hat viele Talmuderklärungen verfaßt, war ein Heiliger. Farbige Hirschornamente.
Grabplatten wurden weggeschleppt, um an morastigen. Stellen Straßen zu decken.
Auf einer sehr schönen Platte wird ein Schrank mit Büchern geöffnet, sehr plastisch
in Stein gehauen: hier liegt eine kluge Frau. Ein Rebbe Abrom Kasche war sehr
heilig. Als er starb und zum Grab getragen wurde, rief man ihm an einer Wegstelle
etwas Beleidigendes zu. Da richtete sich der Tote hoch, bat, man möchte ihm
warmes Wasser zum Hände-waschen geben. Man gab ihm; er spritzte nach dem Haus,
aus dem man gerufen hatte, und es ging in Stücke. Wir nähern uns einem hochgelegenen
Einzelgrab. Aber der Führer hält uns zurück, legt seinen Stock auf die Erde:
«Vier Ellen muß man entfernt bleiben, lautet die Vorschrift.» Es ist der Rebbe
Jakob Pollak, der hier 450 Jahre liegt. In einer Masse von Gräbern ruht der
jüdische Eintagskönig von Polen: eine Krone gemeißelt in den Stein, eine nackte
Menschenfigur, die einen Pfeil abschießt. Ich stehe'vor einem neuen Trümmerhaufen:
«Hier versammelt sich ein Rebbe mit seinen zehn Schülern.» Zwei Platten berühren
sich; sie sind sehr schön: eine Mutter und ihre Tochter; einen Adler hat die
Tochter; bei der Mutter sitzen zwei kleine Vögel. Ein Grabmal begrüßt der Wächter
mit besonderer Feierlichkeit; das ist ein Heiliger, der auf 400 Meilen alles
sah. Er sah aber schließlich so viel Schmutz. Da bat er Gott, ihn nur zehn Meilen
sehen zu lassen. Und es geschah; Horwitz war sein Name; vor über hundert Jahren
starb er. Dann liegt da ein Mann, der hieß «Eiserner Kopf». Warum? Wenn er in
einen Baum blickte, so konnte er genau sagen, wieviel Blätter daran hingen.
Ein Grabmal hat doppelseitige Inschriften: die vordere ist bunt gemalt, die
hintere sieht wie hebräische Spiegelschrift aus. Das Denkmal hatte im Beginn
nur eine Inschrift, die vordere, bunte. Aber einmal, in einer Nacht, sind von
selbst aus dem Stein die anderen Buchstaben hervorgekommen. Von selbst sind
sie über Nacht hervorgekommen. - Alfred Döblin, Reise
in Polen. München 1987 (zuerst 1925)
Friedhof (11) Allen Pächtern statteten wir Besuche ab, und überall bekamen wir Süßwein und Plätzchen. Der Wein versetzte uns in eine so euphorische Stimmung und machte uns so viel Mut, daß wir uns auf den Friedhof wagten. Zum ersten Mal betrat ich einen Friedhof ohne Furcht und Zittern, Ich entsinne mich, daß Luis sich auf den Obduktionstisch legte und befahl, wir sollten ihm die Eingeweide herausnehmen. Ich entsinne mich ebenfalls, daß wir mit vereinten Kräften einer meiner Schwestern halfen, ihren Kopf aus einem Loch zu ziehen, das im Laufe der Zeit in einer Grabplatte entstanden war. Der Kopf war so fest eingeklemmt, daß Luis mit den Nägeln den Mörtel wegkratzen mußte, ehe wir sie herausziehen konnten.
Nach dem Krieg bin ich noch einmal auf den Friedhof gegangen, der Erinnerungen
wegen. Er kam mir viel kleiner und älter vor. Sehr beeindruckt hat mich ein
kleiner weißer, zerfallener Sarg mit den Überresten einer Kindermumie auf dem
Boden. Da, wo der Bauch gewesen sein muß, wuchs ein Busch scharlachroten Mohns.
- Conchita Buñuel, nach: Luis Buñuel, Mein letzter Seufzer. Berlin, Wien, Frankfurt am
Main 1985
Friedhof (12)
Großstadtfriedhof Hinter den offenen Gittern zwischen den Mauern Wie Flickwerk an den grauen Fassaden hängen Weder Blatt noch Vogel. Stein und sonst nichts. Erde. Wenn der Schatten fällt vom bewölkten Himmel Es ist nicht das Gericht, ihr Namenlosen, ihr Toten. |
- Luis Cernuda, nach
(mus)
Friedhof (13) Der Friedhof zeichnete sich fern wie ein dunkler Streifen ab, als wäre es ein Wald oder ein großer Park. Die Mauer aus weißem Stein trat hervor, das Tor zeigte sich ... Beim Mondschein konnte man die Inschrift über dem Tor lesen: »Die Stunde wird kommen, in welcher ...«Starzew trat durch das Pförtchen, und das erste, was ihm ins Auge fiel, waren die weißen Kreuze und Monumente auf beiden Seiten der breiten Allee und die schwarzen Schatten, die sie und die Pappeln warfen; und weithin war nur Schwarzes und Weißes im Umkreis zu sehen, die schlafenden Bäume neigten ihre Zweige über Weißem. Es machte den Eindruck, daß es hier heller sei als im Felde; die Ahornblätter, die Tatzen glichen, hoben sich deutlich vom gelben Sand der Alleen und von den Marmortafeln ab, und die Inschriften auf den Monumenten waren klar zu lesen. Zunächst einmal nahm Starzew all das gefangen, was er zum erstenmal in seinem Leben sah und was er wahrscheinlich nie wieder zu sehen bekommen würde: eine Welt, die mit nichts anderem verglichen werden konnte, eine Welt, in der das Mondlicht so gut und weich war, als wenn hier seine Wiege läge, in der es kein Leben gab, absolut keines, und doch spürte man in jeder dunklen Pappel, über jedem Grabe die Gegenwart eines Geheimnisses, das ein leises, schönes und ewiges Leben verhieß. Von den Grabsteinen und den welkenden Blumen wehten mit dem Herbstduft der Blätter Verzeihung, Trauer und Ruhe.
Ringsum herrschte Schweigen; in tiefer Demut blickten die Sterne vom Himmel,
und Starzews Schritte hallten abrupt und nicht dazugehörig. Und erst als die
Kirchenuhr schlug und er sich schon bald selber wie ein Toter, hier auf ewig
verscharrt, vorkam, war ihm, daß jemand ihn anschaue, und eine Minute lang überlegte
er, daß dies hier keine Ruhe und Stille sei, sondern der dumpfe Schmerz des
Nichtseins und der unterdrückten Verzweiflung ... - Anton Tschechow, Jonytsch. N
ach
(tsch)
Friedhof (14) Das ganze Areal war mit weißen
Steinen übersät. Es war ein chiarchiaro, ein verfluchter, unfruchtbarer
Ort, den zu betreten gefährlich war, weil man urplötzlich in eine der zahlreichen
Felsspalten rutschen konnte, die sich im Erdinnern zu tiefen Schluchten erweiterten.
Montalbano wusste, dass die chiarchiari Friedhöfe mit den Gebeinen Namenloser
waren und gern von der Mafia benutzt wurden, um jemanden verschwinden zu lassen.
Sie stellten ihr Opfer an den Rand einer solchen Felsspalte, erschossen es und
ließen es rückwärts hineinfallen. Oder sie sparten sich die Kugel und warfen
ihr Opfer lebend in die steinige Schlucht. Wenn es beim Sturz in die Tiefe nicht
starb, konnte es schreien, solange es wollte, niemand würde es hören. -
Andrea Camilleri, Der Tanz der Möwe. Bergisch Gladbach 2016
Friedhof (15) Wenn sie mir von den Gräbern
des Friedhofs sprach und mir sagte, welch süßer Duft von Zypressen und Immortellen
die Luft dort erfüllte, dann hütete ich mich, ihr zu widersprechen; wohl aber
sagte ich ihr, daß dies die Stadt der Vögel sei, dort sängen sie ihre Lieder
vorn Morgengrauen bis zur Abenddämmerung, und daß die Gräber ihre Nester seien,
wo sie sich nachts, nachdem sie den Marmor ein wenig hochgehoben, mit ihrer
Familie schlafen legten. - (mal)
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