ragen   Die Sonne stand schon hoch am Himmel, und ich wußte, daß es Zeit war, zu gehen. Aber ich konnte nicht allein gehen. Er, der dort oben in der Nische der Höhle saß, mußte mit mir kommen. Ich hatte große Angst, ihn zu berühren - diesen Toten, der in meinem Traum mit mir gesprochen hatte; doch ich mußte es tun. Also trug ich Steine heran und häufte sie auf, bis ich ihn erreichen konnte; dann hob ich ihn herunter; er war sehr leicht, da er nur noch Haut und Knochen war. Als ich ihn herabgehoben hatte, band ich die Felle der beiden Wölfe um mich und ließ den Lederbeutel zurück, weil er zu klein war, um den Toten hineinzustecken, sondern ich setzte ihn auf meine Schultern, so wie ein Mann ein Kind tragen mag, denn seine Beine waren etwas gespreizt, und indem ich ihn an dem Fuß festhielt, der ihm verblieben war, machte ich mich auf den Weg zum Kraal. Den Hang hinab ging ich so schnell ich konnte, denn jetzt kannte ich den Weg und sah und hörte nichts, bis auf einmal, als plötzlich das Geräusch von Flügelschlägen in der Luft war und ein riesiger Adler auf das herabstieß, was auf meinen Schultern saß. Ich süeß einen lauten Schrei aus, und der Adler flog fort.

Dann betrat ich den Wald. Hier mußte ich vorsichtig gehen, damit der Kopf dessen, das auf meinen Schultern saß, nicht gegen einen Ast schlug und abgerissen wurde.

Eine ganze Weile ging ich so, bis ich in die Mitte des Waldes kam. Dann hörte ich plötzlich zu meiner Rechten einen Wolf heulen, und von links kam die Antwort mehrerer Wölfe, und diese wieder wurde von Geheul hinter mir beantwortet. Ohne zu Zögern ging ich weiter, denn ich wagte nicht stehenzubleiben, und richtete mich nach der Sonne, die ich hin und wieder zwischen den dichten Kronen der Bäume erblickte. Nun sah ich Schatten, schwarze und graue, näherschleichen, und sie schnüffelten die Luft, als sie immer näher kamen. Jetzt erreichte ich eine kleine Lichtung - und alle Wölfe der Welt waren dort versammelt! Mein Herz wurde zu Wasser, und meine Beine zitterten. Von allen Seiten war ich von diesen Bestien umringt, und sie waren groß und hungrig. Ich blieb stehen, die Keule erhoben, und langsam krochen sie auf mich zu, bis sie einen dichten Kreis um mich gebildet hatten. Doch sie sprangen mich nicht an, sondern krochen nur näher und näher.  - Henry Rider Haggard, Nada die Lilie. München 1980 (zuerst 1892)

Tragen (2)  Es gibt eine Geschichte von einer Priester-Konkubine, die gestorben war. Viele Leute kamen und wollten sie zu Grabe tragen, aber sie konnten sie nicht hoch heben, weil sie zu schwer war. Da wunderten sich alle sehr, und einer sagte: »O allmächtiger Gott, wie sollen wir sie nur begraben?« Und sie fragten einen schlauen Gelehrten, und der sagte ihnen das Folgende: »Holt zwei Priesterkonkubinen und laßt sie fort zur Kirche tragen.« Und so geschah es, und sie trugen sie fort, ganz leicht, ohne Schwierigkeit. Die Leute verwunderten sich darüber sehr, aber der Professor sagte zu ihnen: »Es gibt keinen Grund, darüber zu staunen. Ihr einfältigen Leute. Es versteht sich von selbst, daß zwei Teufel in der Lage sind, einen Teufel mit sich fortzutragen.« - (izg)

Tragen (3)

- N. N.

Tragen (4)  Die erste Mutter der Welt hatte die Menschen gelehrt, Feuer und Steine nach den Orten zu bringen. Wollte man Steine in das Dorf bringen, so legte man einen großen Haufen zusammen, stellte sich darauf und sagte: »Trage mich in das Dorf.« Dann trug der Steinhaufen den, der obenauf stand, in das Dorf, und man hatte seine Steine dort, wo man sie haben wollte. Wollte eine Frau Feuerholz haben, so ging sie in den Wald, legte eine große Last Holz zusammen, stellte sich auf die Last und sagte:

»Trage mich in das Dorf.« Dann trug die Last Holz die Frau in das Dorf und sie hatte dann gleich alles daheim.

So hatte die erste Mutter der Welt die Menschen gelehrt, und so beherrschten die Menschen das Holz, die Steine, die Erde. Nur das Wasser beherrschten sie nicht.   - Märchen der Kabylen. Gesammelt von Leo Frobenius, Hg. Hildegard Klein. Düsseldorf u.Köln  1967

Tragen (5)  Das Tragen erfordert in der Tat das Zusammenspiel der folgenden Eigenschaften: Stärke, - Geschicklichkeit, - Gefühl für das Gleichgewicht; unablässiges Aufmerken auf das Terrain; kräftige und für Reibung wenig empfindliche Haut; eine gewisse berufsständische Redlichkeit; gute Lungen; eine zurückhaltende Fröhlichkeit; und das Geschick, die schwingenden Lasten nach ihrem jeweiligen Gewicht am besten zu kombinieren. Bis zu einem gewissen Grad mag auch jedes Lasttier diese verschiedenen Fähigkeiten besitzen. Eine andere Rangordnung und Stufenleiter ergibt sich jedoch aus den unterschiedlichen Gerätschaften, den verschiedenen Mechanismen, dem Bindeglied, der Vermittlung zwischen der Last und dem Träger - und daraus, ob er alleine arbeitet oder ob mehrere dieselbe Last gemeinsam tragen.

Der Mann kann die Last einfach mit einer Kiepe auf dem Rücken tragen.

Er kann es einem biegsamen Bambusrohr überlassen, die zwei darangehängten Pakete zu balancieren und dadurch die Unebenheiten des Ganges abzufangen.

Das Bambusrohr schließlich kann in weitem Abstand auf zwei oder mehreren Schultern aufliegen und die Last hängt in der Mitte.   - Victor Segalen, Aufbruch in dasLand der Wirklichkeit. Frankfurt und Paris 1984 (zuerst 1924)

 

Last Transport

 

  Oberbegriffe
zurück 

.. im Thesaurus ...

weiter im Text 
Unterbegriffe

 

Verwandte Begriffe
Synonyme