ausform,
japanische Der Japaner Hayakawa schilderte die neue, in seinem
Lande entwickelte Hausform der Zukunft: achthundertstöckig, mit Gebärkliniken,
Kinderkrippen, Schulen, Kaufläden, Museen, Tierparks, Theatern, Kinos und Krematorien.
Der Entwurf umfaßte unterirdische Lagerräume für die Asche der Verstorbenen,
vierzigkanäliges Fernsehen, Berauschungs- und Ausnüchterungszellen, turnsaalähnliche
Hallen für Gruppensexbetrieb (der Ausdruck fortschrittlicher Gesinnung seitens
der Entwerfer) sowie Katakomben für unangepaßte Subkulturgruppen. Einigermaßen
neu war der Gedanke, jede Familie solle jeden Tag aus der bisherigen Wohnung
in die nächste übersiedeln, entweder in der Zugrichtung des Schach-Bauern oder
im Rösselsprung, alles, um Langeweile und Frustration zu verhüten. Doch dieses
siebzehn Kubik-Kilometer ausfüllende, im Meeresgrund wurzelnde und bis in die
Stratosphäre ragende Bauwerk hatte sicherheitshalber auch eigene Heiratsvermittlungscomputer
mit sadomasochistischem Programm (Ehen zwischen Sadisten und Masochistinnen
oder umgekehrt sind statistisch gesehen am haltbarsten, weil jeder Partner das
hat, wonach er sich sehnt); auch gab es ein Therapiezentrum für Selbstmordkandidaten.
Hakayawa, der zweite Vertreter Japans, zeigte uns das Raummodell eines solchen
Hauses im Maßstab 1:10 000. Das Haus hatte eigene Sauerstoffspeicher, aber weder
Wasser- noch Nahrungsreserven; es war nämlich als geschlossenes System geplant
und sollte alle Ausscheidungen wieder aufbereiten, sogar den aufgefangenen Todesschweiß
und sonstige Ausflüsse des Körpers. Yahakawa, ein dritter Japaner, verlas die
Liste aller aus den Abwässern des ganzen Bauwerks regenerierbaren Gaumenfreuden;
dazu gehörten unter anderem künstliche Bananen, Lebkuchen, Shrimps und Austern,
ja, sogar künstlicher Wein; trotz seiner Herkunft, die unliebsame Nebengedanken
wachrief, schmeckte er angeblich so gut wie die besten Tropfen der Champagne.
In den Saal gelangten formschöne Fläschchen mit Kostproben und für jeden ein
Pastetchen in Klarsichtpackung. Doch niemand war sehr aufs Trinken erpicht,
und die Pastetchen ließ man diskret unter die Sessel verschwinden, also behandelte
ich meines ebenso. Nach dem ursprünglichen Plan hätte jedes solche Haus mittels
gewaltiger Rotoren auch fliegen können, was Gesellschaftsreisen ermöglicht hätte.
Davon wurde jedoch abgesehen, denn erstens sollten für den Anfang 900 Millionen
solcher Häuser entstehen, zweitens war der Ortswechsel gegenstandslos: selbst
wenn das Haus 1000 Ausgänge hätte, die alle zugleich benützt würden, kämen niemals
alle Bewohner ins Freie, da ja neue Kinder geboren würden und heranwüchsen,
ehe der letzte das Gebäude verlassen hätte. Die Japaner schienen höchst entzückt
von ihrem Projekt. -
Stanislaw Lem, Der futurologische Kongress. Frankfurt am Main 1996
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