Geschichtenerzähler  Scharf umrissen von blaßblauen Wänden oder einem hohen Himmel tanzen zwei Compadritos, eingegossen in schwarzes Tuch, auf Weiberschuhen einen äußerst ernsten Tanz, den Tanz der gleichen Messer, bis von einem Ohr die Nelke abspringt, weil das Messer in einen Menschen gefahren ist, der mit seinem waagerechten Tod den Tanz ohne Musik beschließt. Resigniert stülpt sich der andere den Schlapphut auf und verbringt seine alten Tage damit, von diesem so lauteren Zweikampf zu erzählen.  - (bo3)

Geschichtenerzähler (2)  Er fand keinen Weg; er verbrachte seine Tage schlafend und redete Ajraia nicht mehr an. Aber er war immer noch ein hübscher Junge und noch nicht ganz verblödet von der Angst vor dem Leben. Die Mieterinnen in dem großen Wohnhaus warfen gern ein Auge auf ihn und betrachteten ihn als einen jungen Liebhaber, den sie gern zu sich ins Haus genommen hätten. Einer gelang es dann wirklich, mit der Ausrede, ihm die magischen Geheimnisse ihres Mannes zu verraten; denn ihr Mann war ein berühmter Geschichtenerzähler, der mithilfe von Hexereien alle bezauberte. Eines Tages kam Ajraia hinter den Betrug und stürzte sofort wie eine Furie in die Wohung der anderen, in der Hand zwei Schlangen, die sie auf sie werfen wollte. Es waren durch Magie hervorgebrachte grüne, dicke, furchterregende Schlangen; da stürzte sich die Nachbarin die Treppe hinunter und verfluchte das Liebesverlangen und das ganze dumme Dasein. Pigo lief über die Dächer davon und wurde nicht mehr gesehen.  - (fata)

Geschichtenerzähler (3)  Wenn man betrunken ist, geht man herum und erzählt seine Geschichte. Das Geschick eines Mannes ist seine Geschichte, mit der er von Tisch zu Tisch hausiert, wenn er betrunken ist. Er braucht nicht betrunken zu sein von einem Alkohol oder einem anderen Rauschgift; manchmal ist es die Sonne, die mn verwirrt und betrunken macht, öfter noch ist es die eigene grundlose Müdigkeit. Wenn er unter den Leuten sitzt, redet beredt seine Zunge in ihm, ohne daß er etwa außer diesem schwarzen Kaffee vor sich noch ein andres Getränk zu sich genommen hat, und fordert ihn auf, rundum zu jedermann in dem Lokal zu gehen, den Arm im Stehen dort auf einen leeren Stuhl zu stützen und dem Sitzenden von oben herab seine Geschichte zu erzählen, wie wenn es ihn schon immer dazu gedrängt hätte. Er legt bei sich seine Geschichte zurecht, damit sie den ändern verständlich sei, während unter ihm die Hände das Zellophan zerreißen und aus dem Säckchen den Zucker in den braunen Kaffeeschaum schütten, aus dem durch die Schläge der Kristalle schwarz der Kaffee herausbricht, so daß auch der jetzt vereinzelt aus dem leeren Säckchen geschüttelte Zucker, sooft die Kristalle durch den Schaum den Kaffee aufschlagen, bei jedem Aufschlag dem Zuschauer schwarz scheint. Dann heißt es, das Getränk mit dem kleinen rostfreien Löffel sorgfältig aufzurühren. Die Worte gehen ihm nicht vom Mund. Er erwartet, daß einer zu ihm komme und ihn etwas frage; er wünscht, mit irgendeinem nur etwas zu reden; er möchte über die Farbe der Tapeten reden, über Papier, auf das man Briefe schreiben kann, er möchte die eigene Stimme aus sich kommen und seine eigne Geschichte erzählen hören, er möchte, daß auch alle ändern herkamen, an seinen gewohnten Tisch neben den Kleiderständer, und ihm nacheinander ihre stolzen Geschichten erzählten. - Peter Handke, Die Hornissen. Frankfurt am Main 1977 

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