anglebigkeit  "Die zwei großen Ursachen, welche sich verschworen haben, das Leben zu verkürzen", sagt Lord Verulam, "sind erstens: Der innere Geist, der wie eine kleine Flamme den Körper verzehrt, und zweitens die äußere Luft, die den Körper zu Asche dörrt, welche beiden Feinde uns von beiden Seiten des Körpers zugleich angreifen und dadurch endlich unsere Organe zerstören und unfähig machen, die Lebensfunktionen zu erfüllen."

Wenn das zuträfe, sei der Weg zur Langlebigkeit gebahnt; es sei nichts weiter nötig, sagt Mylord, als den Verlust, den der innere Geist verursache, zu ersetzen, indem man diesen Geist dadurch zu verdicken und verdichten suche, daß man einerseits regelmäßig Opiatmittel gebrauche und andererseits seine Hitze dadurch abkühle, daß man jeden Morgen vor dem Aufstehen dreieinhalb Gran Salpeter nähme.

Nun blieb aber noch unser Körper von außen den feindseligen Anfällen der Luft ausgesetzt; doch auch dagegen könne man sich schützen durch den ständigen Gebrauch fetter Salben, welche die Poren der Haut dergestalt anfüllten, daß kein bißchen Luft hineindringen und auch keine herauskommen könne. Dies hemme nun alle Ausdünstungen, merkliche und unmerkliche, und da das die Ursache so mancher skorbutischen Krankheit sei, müsse man Klistiere anwenden, um die überschüssigen Säfte abzuführen und das System zu vervollständigen.  - (shan)

Langlebigkeit (2)   Balzacs Vater hatte eine ganze Reihe von Steckenpferden. Vor allem lagen ihm bestimmte hygienische Theorien am Herzen. Er behauptete, niemals einen Arzt oder einen Apotheker gebraucht zu haben, und schrieb das seinen Fußwanderungen und seiner sexuellen Mäßigkeit sowie der Gewohnheit zu, das ganze Jahr hindurch wollene Unterwäsche zu tragen. Wenn er krank war, behandelte er sich selbst. Er hatte umstürzlerische Theorien über die Ehe und war ein Vorläufer der modernen Eugenik. Besonders interessierte er sich für das Problem der Langlebigkeit. Nach seiner Überzeugung mußten alle Menschen hundert Jahre alt werden können. Es handelte sich dabei nur darum, das «Gleichgewicht der Lebenskräfte» herzustellen. Madame Surville, die Schwester Balzacs, berichtet darüber eine hübsche Geschichte: «Als man eines Tages aus der Zeitung einen Artikel über einen Hundertjährigen vorlas (ein solcher Artikel wurde, wie sich versteht, nicht übergangen), unterbrach mein Vater gegen seine Gewohnheit den Vorleser, um mit Begeisterung zu sagen: ,Der hat wenigstens weise gelebt und hat nicht, wie es die unvorsichtige Jugend tut, seine Kräfte in allen möglichen Ausschweifungen vergeudet.' Es stellte sich indes heraus, daß dieser Weise sich oft betrank und daß er alle Abende eine Mahlzeit zu sich nahm — eine der größten Ungeheuerlichkeiten, die man, meinem Vater zufolge, gegen seine Gesundheit begehen konnte. ,Nun', erwiderte er ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen, ,dann hat dieser Mensch eben sein Leben verkürzt, das ist alles.'» Balzacs Vater hatte selbst besondere Gründe, sich die Langlebigkeit als Ziel zu stecken. Denn er gehörte einer Leibrentengesellschaft an, nach deren Statuten die Überlebenden das Vermögen der vor ihnen Gestorbenen erben sollten. Er starb infolge eines Unglücksfalls schon mit dreiundachtzig Jahren.  - Ernst Robert Curtius, Balzac. Bern 1951

Langlebigkeit (3) Daß Hupazoli 22 Bände über seine Handlungen geschrieben erklärt auch warum er so alt geworden. Ich habe mehr solche Buchhalter gekannt. Sie werden gewöhnlich alt. Die Diät dieser Menschen nachzuahmen hilft nicht viel. Die Nachahmer tun es durch den Kopf, durch vernünftigen Entschluß, und das hilft so wenig als sich der Mangel des Genies durch Regeln ersetzen läßt. Man hält hier für die Wirkung was eigentlich die Ursache ist. Die Männer nach der Uhr werden gewöhnlich alt, denn die Fähigkeit alt zu werden macht sie zu Männern nach [der Uhr]. Der Nachahmer weiß sich bei sich selbst schon zu groß, der Triumph über seine Neigungen selbst ist ein Nervenspiel, das sich nicht mit einem langen Leben verträgt.  - (licht)

Langlebigkeit (4) Vor dem Versuch hatten die Forscher vermutet, dass die wohlgenährten Tiere älter würden als ihre auf Diät gesetzten Artgenossen. Bei den Weibchen erwies sich die Annahme als richtig, bei den Männchen aber starben gerade die kräftigsten und attraktivsten Exemplare auffällig früh. Das seien zugleich jene Tiere gewesen, die besonders viel Zeit in ihre zirpenden Werbegesänge investiert hätten, schreibt das Team um Hunt. Die Männchen verausgabten sich in dem Bemühen, ihre Qualitäten hervorzuheben offenbar viel stärker als ihre weniger attraktiven Artgenossen. Gute Aussichten auf ein langes Grillenleben haben demnach nicht die Männchen mit der besten Kondition, sondern diejenigen, die sich am meisten schonen. - kv., Berliner Zeitung vom 23.12. 2004

Langlebigkeit (5) Wan er dann nun genug gespielet, gerasselt, gefesselt, gekesselt, und die zeit verrammelt hett, da woltsidi auch nun in alle weg gebüren, ein weil zu bausen auß der Krausen, des waren nach seiner ordenlichen Diæt Eilff Seidle für den Mann. Dann ich laß den passieren, welcher eins Sitzens so viel saufft als er wigt. Gleich auff das bancketlin, war ein feine banck sampt dem banckpfulwen und sonst ein Faulbettlin zur Hand, darauff streckt er sich banckethierlich unnd zierlich, und schlieff ein zwo oder trey stunden dahin, nicht daß er eim ein böß wort hett geben. Als er widerumb erwacht, schüttelt er ein wenig die Ohren, als hett der Hund Enten im Wasser geholet: Mitler weil trug man ihm frischen Wein auff, da soff er meh als vor nie darauff.

Herr Kundlob Arbeitsam beredet solchs Mischmesche, und zeigt ihm an, wie es gar ein böß undiætlich wesen sey, gleich auff das schlaffen die Zung netzen unnd schleiffen. Da antwortet Gargantua, Was sagt ihr? das ist das recht war leben der Vätter. Dann von Natur schlaff ich gesaltzen, der schlaf ist das Saltz des Lebens, und daß schlaffen hat mich allzeit so viel Schuncken gekost. Das ist die recht Ortographi auff fressen unnd sauffen. also erlangt man des Theophrasti lang leben: lehrnet man doch inn der Dialectick. Qui bene bibit, bene dormit, Wer wol saufft, schlaffet wol, wer wol schlafft, sündiget nicht, derhalben laßt uns sauffen unnd schlaffen, daß wir nit sündigen. Ich halts mit dem alten glauben, der frißt kein Stiffel er sey dann geschmiert: Wer nicht alt will werden, stoß den halß jung am Galgen ab. - (fisch)

Langlebigkeit (6)  Ich werde nun das Bild eines zum langen Leben bestimmten Menschen zeichnen. Er hat eine proportionierte und gehörige Statur, ohne jedoch zu lang zu sein. Eher ist er von einer mittelmäßigen Größe und etwas untersetzt. Seine Gesichtsfarbe ist nicht zu rot; wenigstens zeigt die gar zu große Röte in der Jugend selten langes Leben an. Seine Haare nähern sich mehr dem Blonden, als dem Schwarzen, die Haut ist fest, aber nicht rauh (den Einfluß der glücklichen Geburtsstunde werden wir hernach betrachten). Er hat keinen zu großen Kopf, große Adern an den äußern Teilen, mehr gewölbte als flügelförmig hervorstehende Schultern, keinen zu langen Hals, keinen hervorstehenden Bauch, und große aber nicht tiefgefurchte Hände, einen mehr breiten als langen Fuß, fast runde Waden. Dabei eine breite gewölbte Brust, starke Stimme, und das Vermögen, den Atem lange ohne Beschwerde an sich zu halten. Überhaupt völlige Harmonie in allen Teilen. Seine Sinne sind gut, aber nicht zu empfindlich, der Puls langsam und gleichförmig.

Sein Magen ist vortrefflich, der Appetit gut, die Verdauung leicht. Die Freuden der Tafel sind ihm wichtig, stimmen sein Gemüt zur Heiterkeit, seine Seele genießt mit. Er ißt nicht bloß um zu essen, sondern es ist ihm eine festliche Stunde für jeden Tag, eine Art der Wollust, die den wesentlichen Vorzug vor andern hat, daß sie ihn nicht ärmer, sondern reicher macht. Er ißt langsam und hat nicht zu viel Durst. Großer Durst ist immer ein Zeichen schneller Selbstkonsumtion.

Er ist überhaupt heiter, gesprächig, teilnehmend, offen für Freude, Liebe und Hoffnung, aber verschlossen für die Gefühle des Hasses, Zorns und Neids. Seine Leidenschaften werden nie heftig und verzehrend. Kommt es je einmal zu wirklichem Ärger und Zorn, so ist es mehr eine nützliche Erwärmung, ein künstliches und wohltätiges Fieber, ohne Ergießung der Galle. Er liebt dabei Beschäftigung, besonders stille Meditationen, angenehme Spekulationen — ist Optimist, ein Freund der Natur, der häuslichen Glückseligkeit, entfernt von Ehr- und Geldgeiz und allen Sorgen für den andern Tag. - (huf)

Langlebigkeit (7)  Keiner kann das Lange Leben erreichen, wenn er der "Künste des Schlafzimmers" unkundig bleibt. - Go-Hung, nach: Dschu-Lin Yä-schi. Ein historisch-erotischer Roman aus der Ming-Zeit, mit erstaunlichen taoistischen Liebespraktiken. Hg. und Übs. F.K. Engler. Zürich 1971

Langlebigkeit (8)  Im Jahre 1670 starb H. Jenkins in Yorkshire. Er war schon im Jahre 1513 bei der Schlacht zu flowdenfield gewesen und damals zwölf Jahre alt. Man konnte aus den Registern der Kanzleien und andrer Gerichtshöfe ersehen, daß er 140 Jahre lang vor Gericht erschienen war und Eide abgelegt hatte. Gegen die Wahrheit der Sache ist also nichts einzuwenden. Er war bei seinem Tode 169 Jahre alt. Seine letzte Beschäftigung war Fischerei, und er konnte noch, als er schon weit über 100 Jahre alt war, in starken Strömen schwimmen.

Ihm kommt Th. Parre am nächsten, ebenfalls ein Engländer aus Shropshire. Er war ein armer Bauersmann und mußte sich mit seiner täglichen Arbeit ernähren. Als er 120 Jahre alt war, verheiratete er sich wieder mit einer Witwe, mit der er noch zwölf Jahre lebte, und so, daß sie versicherte, ihm nie sein Alter angemerkt zu haben. Bis in sein 130. Jahr verrichtete er noch alle Arbeit im Hause und pflegte sogar noch zu dreschen. Einige Jahre vor seinem Tode erst fingen die Augen und das Gedächtnis an schwach zu werden, das Gehör und sein Verstand aber blieben bis zu Ende gut. In seinem 152. Jahre hörte man von ihm in London, der König wurde sehr begierig, diese Seltenheit zu sehen, und er mußte sich auf den Weg machen. Und dies brachte ihn höchst wahrscheinlich um sein Leben, das er außerdem noch länger würde fortgesetzt haben. Er wurde nämlich da so königlich traktiert, und auf einmal in ein so ganz entgegengesetztes Leben versetzt, daß er bald darauf 1635 in London starb. Er war 152 Jahre und neun Monate alt geworden und hatte neun Könige von England erlebt.  - (huf)

Langlebigkeit (7)  Däubler hatte großartige Geschichten — die vom rothaarigen Sollmann etwa, der längst gestorben immer noch weiterlebte und eigentlich alle Bilder des berühmten Norwegers Edvard Munch gemalt hätte: manchmal sichtbar, manchmal unsichtbar sei er hinter Munch gestanden und habe ihm den Pinsel geführt, woher dessen Bilder auch ihre besonders von Deutschen so vielbewunderte mystische Note hätten. ..

Däubler hatte den Sollman zuletzt in Venedig getroffen und von ihm gehört, er sei schon über 150 Jahre alt. Er sei eben aus einer langlebigen Familie.

«Hast Du ihn auch mal in Berlin gesehen?» fragten wir.

«Ja», sagte Theodor. «Das war sehr merkwürdig. Ich saß im Kaffeehaus. Draußen war es sehr kalt — November, glaube ich — mit Eisblumen am Fenster, aber nicht ganz zugefroren; hie und da sah man durch, auf die Potsdamer Straße. Auf einmal saust da eine Straßenbahn vorbei, und ich sehe einen kleinen Mann dahinterherlaufen — oder nicht laufen, eher schweben —, also Sollmann. Ohne Hut, das flammende Haar wie eine Aureole um den Kopf, und so unheimlich das klingt: mit zwei Paar Schmetterlingsflügeln an den Schultern! Natürlich, die Eisblumen — aber ich weiß doch, was ich gesehen habe ! Stellt Euch das bloß vor,» schloß er, «Schmetterlingsflügel im November —»  - George Grosz, Ein kleines Ja und ein großes Nein. Sein Leben von ihm selbst erzählt. Reinbek bei Hamburg 1986, zuerst 1955


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