Waagerecht

   

- Cary Kwok

Waagerecht (2)  Da sticht mir ins Gehirn ein Gedanke, der mich vor Jahren in Wiesbaden heimgesucht hat, als ich die Menschen, die kranken und gesunden, vor der Kurkapelle sitzen sah. Sie liegen in Massen unter der Erde, die Menschen, Tote, wagerecht, zwei Meter, fünf Meter, zehn Meter tief, in Riesenscharen, ganze Heere. Die liegen ausgestreckt unten, die die Kriege geführt haben zu Napoleons Zeiten und früher, die mit Alexander nach Indien marschierten, alle. Römer, Cäsar, Tiberius und die Germanen über die Alpen, alle wagerecht unter der Erde. Für sie ist jetzt nicht Rom und Germanien. Was ist für sie. Wie für uns Rom und Germanien, Krakau und Berlin nichts sein wird. Die Farben werden nichts sein; die Musik, die Kunstentwicklung, all der Lärm wird nicht sein. Was ist den Millionen Toten die Kathedrale hier. Sie ist nicht. Sie ist - ausgeatmet von ihnen. Der Markt, die Pflasterung - ausgeatmet. Welche sind gestern gestorben, die hier täglich vorübergegangen sind; von ihrem Blick ist noch etwas in den Fensterscheiben. Und was ist jetzt der Ring, die große Kirche für sie. Verraucht. Mir - ist der Platz, die Straße noch etwas. Aber als wenn ich mich schon von ihnen zurückziehe. Als wenn ich Distanz gewinne. Als wenn sie abweichen. Sie werden farblos; sie stehen weit; gerinnen. Als wenn ich versterbe. In dieser Sekunde versterbe. - Alfred Döblin, Reise in Polen. München 1987 (zuerst 1925)
 
 

Richtung Linie Breite

 

  Oberbegriffe
zurück 

.. im Thesaurus ...

weiter im Text 
Unterbegriffe

 

Verwandte Begriffe

Senkrechr

Synonyme

Antonym