Wewohnerin   Was weiß ich über diese Beziehung, die - so schikanös und schwierig sie auch sein mag - ein Teil meines Lebens geworden ist? Seit die Puppe in eine Fledermaus verwandelt wurde oder diese Form für sich gewählt hat, hat sie aufgehört, durch Worte mit mir zu verkehren, und ich hege den Verdacht, daß diese Enthaltsamkeit mehr ihre eigene kapziöse und kapriziöse Entscheidung ist als eine ihrer gegenwärtig angenommenen Form notwendig entstammende Kondition. Denn die Verbindung zwischen uns ist nicht abgerissen. Mit ihrer knochigen und ruppigen Schnauze bearbeitet die Fledermauspuppe meinen Körper von innen, zerreißt ihn, probiert seine Knochen, zerkratzt sie, höhlt sie aus, operiert sie. Aber keine dieser Bewegungen und Gesten geschieht zufällig. Ich merke, daß jede Pein, die mir innerlich zugefügt wird, ihren besonderen Sinn hat: die Zähne machen Andeutungen, skizzieren, schreiben; an einer Stelle meiner linken Schulter ist eine Zeichnung ausgeführt, die ironisch die Verschnörke-lungen eines Spitzendeckchens nachzuahmen scheint, wie sie von gewissen Ehefrauen, von denen man mir andernorts erzählt hat, nachgeahmt werden; ihrer Art gemäß interpretiere ich diese Zeichnung als ein Versprechen ruhigen Glücks - wieweit ironisch oder grausam, wüßte ich nicht zu sagen. Im Inneren meines Ohrs ist eine von fernen Bergen begrenzte Wüstenlandschaft akkurat skizziert; im Vordergrund gehen ein paar winzige Figuren geduldig auf ein unsichtbares Ziel zu. Die Andeutung eines gemeinsamen "Wegs ist offensichtlich, aber es ist nicht möglich, die Form der Figuren zu deuten. Wahrscheinlich handelt es sich um eine einzige Figur, nämlich meine, mehrmals wiederholt. Doch ist da noch etwas mehr als eine Ahnung einer zweiten Figur - winzig klein, aber ein wenig monströs -, die mich begleitet. An der Stelle, die als Heimstatt des Herzens ausersehen ist, hat man aus Knorpel und Knochensplittern ein neugotisches Schloß gebaut, mit Höfchen und Türmchen und sogar einem kleinen Reitstall. Ich vermute, daß die komplizierte Struktur auf einen ungelösten Groll in bezug auf meine Gefühle hindeutet, die ich selbst zum großen Teil als gekünstelt und stilistisch zusammengeklaubt ansehe. Es wäre indes ungerecht von mir, wenn ich ein paar beziehungsvollere Mitteilungen nicht erwähnte: mühsam auf kleine Knöchlein geschriebene Botschaften, in denen es heißt: »Wollen wir uns nicht treffen?« oder »Heute Nacht hatte ich einen Traum, den ich dir erzählen möchte« oder nur »Ein langer Spaziergang«, weiter nichts. Ich weiß nicht, ob diese Sätze nicht irgendeine rachlustige und spöttische Fröhlichkeit enthalten; ich habe indes die obskure Gewißheit, daß meine obskure Bewohnerin in irgendeiner Weise schicksalhaft an mich gebunden ist, genauso wie ich mich mit ihr verbunden fühle. Diejenige, die ich als >Bewohnerin< bezeichnet habe, und die ich meine Zuinnerste, meine intimste Gefährtin, mein Viszerinchen, die Fiedermaid, das lose Seelchen, das Ledermäuschen nenne, schickt mir Botschaften mit anderen Mitteln, welche ich als ingeniös, vielleicht sogar libidinös betrachte: in den Fäkalien versteckte Darmstückchen schreiben mir Briefe. Indem ich eine Reihe von Ausscheidungen aneinanderlege, lese ich: »Schreiben wir uns« oder »Auf bald«. Die Aufforderung wörtlich interpretierend, verschlinge ich eben jene Buchstaben anders gesetzt und erziele dabei Worte wie »Vir unschrein«, womit ich meine, daß ein zutiefst viriler Mann seine tiefsten Gefühle nicht hinausschreien will; oder »Bald auf«, wie um meine schöne Herzensfresserin einzuladen, mir eine Insel zu nennen, die für unsere Verabredung geeignet wäre. Ich möchte sie gern wissen lassen, daß ich sie erwarte und daß meine Wanderungen und fortgesetzten Verwandlungen nichts an der Beständigkeit meiner Gefühle ändern, die vom Standpunkt des guten Geschmacks her vielleicht tadelnswert sind, aber doch ernsthaft und konstruktiv. Ich habe mir ferner ausgedacht, mit ihr durch rhythmische Schläge auf meine als Buschtrommel gebrauchte Brust zu kommunizieren, aber damit habe ich nur bescheidene Ergebnisse erzielt. Das Morsealphabet, das ich mir zusammengebastelt hatte, scheint in der Tat keine wohlwollende Aufnahme gefunden zu haben, obgleich ich mich bemüht habe, ergebene und jedenfalls unterwürfige Gefühle auszudrücken.

Es ist natürlich, daß ein so enges und pedantisches Zusammenleben bisweilen Grund zu Unstimmigkeiten bietet, weshalb es zu Konflikten kommt, die ich als Ehekrachs bezeichnen möchte. Mein Kot ist dann voll mit Blut, das den Zorn meiner Mitbewohnerin ausdrückt; und ich selbst kann nicht leugnen, hin und wieder einen Brechreiz simuliert zu haben, fast als wollte ich dieses Ding aus meinem Körper ausstoßen - eine Geste, die sie ärgert und kränkt. Es gibt aber auch noch etwas Seltsames und auf seine Weise Faszinierendes: wenn ich in mich hineingehe und in den leeren Räumen meines Körpers herumspaziere, gelingt es mir nie, sie aufzuspüren.  - (hoelle)

 

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