Ihre Bettdecke war aus Zobelfell und vom Hüftbeinchen
an aufgeschlagen. Die hatte sie, denn ihr war heiß, von sich geschoben, als
der Herr des Zeltes sie verließ. An ihr lag alles Können eines Meisters, eine
sehr elegante Kreation: Aus Gottes eigener Werkstatt kam ihr süßer Leib. Schöne,
lange Arme hatte sie und weiße Hände. Der Knabe sah ein Ringlein blitzen, das
zog ihn mit Macht zum Bett: da fing er mit der Herzogin
zu kämpfen an. Es war ihm nämlich die Lehre seiner Mutter in den Sinn gekommen,
die hatte ja gesagt, daß der Ring von einer Frau was ganz Begehrenswertes
sei. Und so sprang denn dieser schöne Knabe vom Teppich,
auf dem er stand, ins Bett hinein. - Wolfram von Eschenbach,
Parzival. Frankfurt am Main 1993 (zuerst ca. 1200, Übs. Peter Knecht. Die Andere
Bibliothek 100)
Peter Handke, Der Bildverlust oder Durch
die Sierra de Gredos. Frankfurt am Main 2002
Begehren (3) Die Liebe
als vielgestaltiges Anfallsleiden impliziert erstens, daß man sich ihrer nicht
mit dem Intellekt oder dem Bewußtsein erwehren, sie nicht steuern kann, und
zweitens, daß sie immer dann, wenn man sich bereits geheilt glaubt, in neuer
Form zuschlägt. Diese äußerst quälende, pessimistische Deutung der Liebe bei
Proust (man sagt, er habe mit seinen Schuhen nach einem Dichterkollegen geworfen,
der ihn überzeugen wollte, daß glückliche Liebe möglich sei) liegt in seiner
Annahme begründet, die Liebe sei nur eine Erscheinungsform eines größeren und
mächtigeren Begehrens, das prinzipiell nicht durch einen anderen Menschen gestillt
werden kann. - Ulrike
Sprenger, Proust-ABC. Leipzig 1997
Begehren (4) Ihr Begehren war von einer Art,
daß es kaum einem Gegenüber je als ein solches kenntlich werden konnte (und
es war wohl auch nicht ihm zugedacht?). Wer es überhaupt wahrnahm, dem jagte
es eher Schrecken ein. Egal, ob ich gemeint bin
oder nicht: nur weg von hier! Sie ist irre geworden. Was für eine rauhe Stimme
sie hat. Und was für Grimassen sie zieht. Sie wird mir den Kopf abreißen. Sie
wird mir ihr Schwert in das Herz stoßen. Oder sie wird mich schlicht anspeien
und mir ihre neun Zungen zeigen. Oder sie wird dem Kind auf dem Sitz neben ihr
den Hals umdrehen. Oder sie wird sich mitsamt diesem Kind da durch den Notausgang
in die Tiefe stürzen, über dem río Ebro jetzt, über dem río Duero jetzt,
auf die dort unten jetzt sich nähernde spielklotzkleine Kathedrale, »Unserer
Frau von der Säule« geweiht, von Zaragoza, der nicht mehr nord-, sondern schon
südwestlichen Flußhafenstadt: durch die Reihe, Männer wie Frauen, selbst die
Kinder und selbst die Tiere, ergreifen wir auf der Stelle die Flucht vor dem
Sehnen, dem Begehren, dem Erfülltsein, dem Hilflossein - alles in einem - dieser
Wilden. Auf dem Küchentisch in ihrem leeren Anwesen die Passionsfrucht, oder
ein Granatapfel? oder eine Zitrone?, daneben das zurechtgelegte Messer,
von den durch die Schalen der Frucht dringenden Fruchtfleisch-Schwaden bedunstet.- Peter Handke, Der Bildverlust.
Frankfurt am Main 2002
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