aubersprache
Wir begegnen einander zum erstenmal im damaligen
Ostberlin, wann mag das gewesen sein, ich vergesse das Jahr, wir laufen die
leeren öden Straßenzeilen entlang, gesäumt von häßlichen Gebäuden, Richtung
Hotel Metropol, wo ich logiere. Sie redet... sie redet vor sich hin, redet zu
mir her, ich kann kaum folgen, die Rede scheint aus einer mir bislang unbekannten
Geisteswelt zu kommen. Die Rede fesselt mich, ich möchte festhalten was sie
spricht, vielleicht Selbstgespräch, denke ich, magische Sprache, alle Punkte
berührend, alle Punkte der Erde, gleichzeitig im Norden und Süden des vorgestellten
Globus auftauchend, das Bejahende das Verneinende ins nämliche Satzgefüge in
die nämliche Wortfolge eingepaßt, ich lausche gebannt dieser Quelle der Geheimnisse
dieser Zaubersprache, wie aus einem fremden Originaltext herübergeholt, diesen
bisher nicht erfahrenen verbalen Einsichten, Verweisungen, Phantasien, Einschätzungen,
Erkenntnissen. Ich unterdrücke das Verlangen, mein Notizbuch hervorzuziehen
um alles aufzuschreiben. - Friederike Mayröcker, Magische Blätter V.
Frankfurt am Main 1999 (es 2138)
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