Zauberspiegel Später stellte er bei sich selbst fest, daß die Folter eine ganz persönliche Dialektik in Gang setzt, für die es keine andere Regel gibt als die blinde Entschlossenheit, nichts zu sagen, was die Nachhut der eigenen Würde zerstören könnte. Wenn die Würde flöten geht, wird man zum Spielball des Folterers.

Und wie viele Bücher! Bücher, die man lesen mußte. Intellek­tuelle Wege und Abwege, denen man folgen mußte. Die Polemik zwischen Naville und Lefèbvre innerhalb der französischen KP. Diese Hurensöhne! Als er sein Auto vor seinem kleinen Haus mittleren Alters parkt, zerfällt alles zu einem Scherben­haufen, als sei ein innerer Zauberspiegel von seinem Nagel gefallen. Mit der einen Hand hält er die Post, mit der ändern das Gleichgewicht auf den lehmbeschmierten Stufen; die ersten Düfte entsteigen der Erde und den Hecken im einsetzenden Nieselregen. Als die Tür geöffnet ist, die Hände befreit sind, geht Carvalho ausgeruht und entspannt sein Bücherregal auf dem Flur durch, wo sich die Bücher unregelmäßig des Raums bemächtigen, manchmal kompakt und aufrecht, manchmal schrägstehend, wo Lücken sind - oder sie stehen auf dem Kopf. Er holt die Kritik der dialektischen Vernunft von Lefèbvre, Wie der Stahl gehärtet wurde von Ostrowskij und Essays über Heine von Sacristàn heraus.

Am Kamin zerreißt er die Bücher, ruhig, mit der sicheren Hand des Experten, und häuft auf die herausgerissenen Seiten trockene Zweige und dickere Holzscheite. Das Feuer breitet sich unaufhaltsam aus, die gedruckte Kultur flammt auf und erfüllt ihren Auftrag, Nahrung für realere Feuer zu sein. Abendessen oder nicht, das ist die Frage. - Manuel Vázquez Montalbán, Die Einsamkeit des Managers. München 1977

Zauberspiegel (2)

Zauber Spiegel

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