rmensch „Ein
schwanzloser Raubaffe, welcher auf Hinterfüßen geht, in Rudeln lebt, alles frißt,
ein ruheloses Herz hat, aber durch seinen Geist verlogen ist. Diebisch, geil
und händelsüchtig, dabei fähig zu vielen Fertigkeiten. Der Feind aller übrigen
Erdgeschöpfe und doch der schlimmste Feind seiner selbst." („simia homo
sine cauda, pedibus posticis ambulans, gregarius, omnivorus,inquietus cordis,
mendax mentis. Furax, salex, pugnax at artium variarum capax. Animalium reliquorum
terrae hostis, sui ipsius inimicus teterrimus.") — Dies ist die älteste
Beschreibung des Urmenschen. — Eigenbezüglich und hörig, feige und wildverwegen,
brutal und sentimentalisch, vor allem eitel und geil — so stellte sich Haarmann
uns dar: Ein fließendes Element, darin gespielte und wirkliche Kindischkeit,
gespielter und wirklicher Schwachsinn wunderlich einander überdeckten. Ganz
auf Hunger und Wollust gestellt, „ausgeschämt" in jedem Sinn, ist er doch
ein Stück unmittelbare auch noch in seiner Schauspielerei völlig naive Urnatur,
an keinerlei Rechenschaft über sich selber gewöhnt. Wenn das Paragraphen-Deutsch
der Juristen, die verwickelte Heuchelei der Ämter und die hinter Wissenschaft,
Moral oder Amtspflicht versteckte Eitelkeit der „bürgerlichen Gesellschaft",
wenn alle diese vielen Lebenslügen all der „Bildungs- und Kulturmenschen"
sich selbstgerecht-ahnungslos ausgesprochen hatten,
dann wirkte es fast erquickend und befreiend, diesen Haarmann naiv flunkern
und Dichtung und Wirklichkeit untermischen zu hören. Und man
empfand: die Wahrheitsmenschen lügen. Dieser Erzschauspieler ist
wahr! Er hat keinerlei Grauen vor dem, vor dem jedem dieser Kulturmenschen
graut, vor Tod, Leichen, Moder. Aber bei einem Gewitter
verkriecht er sich doch wie das Tier, zittert und beginnt ohne Glauben Gott
anzubetteln. Zuweilen brachen kindliche Züge von Sympathie hervor. Als
mitten im Tage die Lichter im Saale angezündet werden, sagt er ganz wie ein
Kind leise zu sich selber: „Grad wie der Tannenbaum".
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Theodor Lessing, Haarmann. Die Geschichte eines Werwolfs. Berlin 1925