ropismus Er tat ein paar Schritte ins Zimmer hinein, und der frische Klang des Wortes „permesso?" schien den Raum mit Leuchten zu erfüllen. Diese Stimme hätte einem Engel gehören können: sie kam aus dem Munde eines Henkerknechtes. Welches neue Opfer brachte er in dem Sack, den er nun auf den Martertisch niederlegte? Bisweilen war Anthimos zu sehr in seine Gedanken vertieft, als daß er den Sack gleich geöffnet hatte. Dann begnügte er sich mit einem vorläufigen Blick auf die grobe Leinwandhülle, die vor ihm lag, und wenn's unter dieser nur irgendwie zuckte und raschelte, so war es schon gut. Ratten, Mäuse, Sperlinge, Frösche — alles kam diesem Moloch zustatten. Gelegentlich passierte es, daß Beppo nichts abzuliefern hatte. Dessenungeachtet trat er ein; er wußte, daß Armand-Dubois ihn erwartete, sei's mit leeren Händen. Und wenn jetzt der Knabe, neben dem Gelehrten über den Operationstisch gebeugt, mit großen Augen irgendeiner abscheulichen Tierquälerei zusah, den zergliederten Frosch voller Entsetzen, den dämonischen Operateur mit Bewunderung anstarrend, genoß Anthimos in der Anbetung dieses Kindes dann nicht vielleicht so etwas wie den eitlen Triumph einer teuflischen Allmacht?
Anthimos Armand-Dubois hatte den Ehrgeiz, die gesamte Lebenstätigkeit der
Tiere, die er beobachtete (der menschliche Körper sollte erst später an die
Reihe kommen), auf „Tropismen" zurückzuführen. Tropismen! Kaum war
dieses Wort in Umlauf gesetzt worden, als man schon nichts anderes mehr hören
wollte; eine ganze Schule von Psychologen ließ sich
nur noch auf Tropismen ein. Tropismen! Welche Fülle neuen Lichtes in
so wenigen Silben! Offenbar gehorchte der Organismus denselben Reizen wie die
Heliotroppflanze, die ihre Blüten unbewußt der Sonne zuwendet (was sich durch
ein paar simple physikalische und thermo-chemische Gesetze leicht erklären läßt).
Nun gab es im Kosmos nichts mehr als beruhigende Güte; die überraschendsten
Daseinsäußerungen schrumpften zusammen zur Ausführung von Befehlen, die der
Kraftquell gegeben hatte. -
André Gide, Die Verliese des Vatikan. München 1975 (dtv 1106, zuerst 1914)
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