umpfschildkröte
Freilich hatte Jean de Juni seine Mutter geliebt; die Erinnerung an sie blieb
der an einen gewissen Morgenrock verhaftet, den sie vormittags zu tragen pflegte,
und er mußte auch an eine Sumpfschildkröte denken, eine sogenannte ›Bourbeuse‹,
die für ihn bei einem alten Mann gekauft worden war; er hatte seinen Stand an
der Vorhalle der Kathedrale von Modena gehabt. Sie war wohl zusammen mit den
andern, die am Boden eines Korbes herumkrabbelten, in den toten Armen des Po
gefangen worden. Es war ein sehr dickes Männchen gewesen; der kleine Jean de
Juni hatte es mit Fetzen rohen Hühner- oder vorzugsweise Kalbfleisches gefüttert
oder auch mit Leber, und er hütete es mit einer Zärtlichkeit, deren mysteriöser
Ursprung mit der Bezeichnung >Borbeuse< verschmolz; ihre Bedeutung hatte
das Lexikon ihm enthüllt. Die Schildkröte hatte sich über Land davongemacht,
sie hatte eines Nachmittags eine Jean zugerufene Weisung ausgenützt, er solle
herkommen und Besuchern ›Guten Tag‹ sagen, und dann hatte er ein paar
Tage später zu seinem Entsetzen am Wegrand, überwimmelt von Ameisen und Fliegen,
ihren schönen gelben und schwarzen Panzer wiedererkannt, der zerstückelt dalag,
vielleicht vom Rad eines Lastautos überfahren oder durch Schläge mit einem Ziegelstein
(von dem sich dicht dabei ebenfalls Bruchstücke fanden) von der Hand eines grausamen
Jungen zerschmettert. - André Pieyre de Mandiargues, Kindisches Treiben.
In: A.P.M., Schwelende Glut. Frankfurt am Main 1995 (st 2466, Phantastische
Bibliothek 323, zuerst 1959)
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