tiersprung
Im Mittelpunkt des Geschehens stand ein mächtiger Stier,
der im Galopp über den Platz raste - auf ein schwarzlockiges, nur mit einem
gelbschwarzgestreiften Schurz bekleidetes Mädchen zu. Es stellte sich etwas
zur Seite und packte den zum Stoß ausholenden Stier an den Hörnern. Es handelte
sich um eine technisch ausgefeilte Übung - das Stierspringen; eine
gefahrvolle artistische Leistung, die von Mädchen und Jünglingen ausgeführt
wurde. Sie brachten es zuwege, sich mit der linken Achsel an das
linke Hörn des anstürmenden Kolosses zu hängen und dessen Kopfstoß zum
Aufschwung mit anschließendem Überschlag zu nutzen. Danach setzten die Springer
mit den Füßen auf dem Rücken des Stieres auf. Hinter dem Stier stand der Fänger
(Mädchen oder Jüngling),
in dessen Armen der Springer nach einem Salto landete. Um sich von der Gefährlichkeit
des Stierspringens ein Bild zu machen, befragte der Forscher Sir Arthur Evans
mehrere spanische Toreros und amerikanische Stierringkämpfer. Ihre Meinung:
Wer versucht, die Hörner eines anstürmenden Stieres zu packen, hat keine Chance,
den Anprall zu überstehen. Der Stier dreht den Kopf seitwärts und durchbohrt
jeden, der sich ihm in den Weg stellt. - Rudolf von Ende, in: Salto. 99 Luftsprünge,
Purzelbäume und andere Kunststücke. Berlin 2001 (Wagenbach, Salto 100,
Hg. Susanne Schüssler, Maren Arzt)
Stiersprung (2)
Stierspringen in Kreta. Rekonstruktionszeichnung Sir Arthur Evans‘ nach
einem Fresko aus dem Palast von Knossos. Der Akrobat packt den Stier bei den
Hörnern (1) und wird, sobald der Stier den Kopf nach oben wirft, in die Höhe
katapultiert (2). Mit einem Salto rückwarts landet er auf dem Rücken des Stiers
(3) und springt von hier aus zurück auf den Boden (4). Bis heute hat es noch
kein moderner Akrobat gewagt, dieses Kunststück nachzumachen.
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erf
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