onntag  Ein sonntag beginnt nicht, er bricht aus, grausam, unbarmherzig, roh wie eine dumpfe bestie, und zwar schon am samstag, wenn die läden schließen. Ein ausbrechender sonntag fängt mit bewölkungszunahmen an, versucht sich später in sonnigen perioden, die indes doch nur einen tinnef wert sind, setzt sich in regenschauern fort und endet fast immer mit halbschwülen abenden, derer man sich jahre nachher noch wie eines unauslöschlichen alptraums entsinnt. Gräßlicher sonntag gräßlicher!   - H. C. Artmann, How much, schatzi? Frankfurt am Main 1971

Sonntag (2)  Man feiert heute, ich weiß nicht welchen katholischen Feiertag und des Gebimmels der Glocken ist kein Ende. Es ist ein prächtiger, sonniger Tag und das Meer glatt wie ein Spiegel. Freund Bakunin, der seit einigen Tagen leidenschaftlicher Angler geworden ist, kommt von seiner Ausfahrt ganz erstaunt zurück und versichert uns, sogar die Natur sei ebenfalls christlich geworden; das Meer halte heute auch seinen Sonntag, und amusire sich mit lebhaftem Glockenspiel. Er habe bei seiner Fahrt nach Grand Bé eine Unzahl von Glocken gesehen, die in den herrlichsten Farben geschillert hätten, und beständig aus der Tiefe wie Seifenblasen nach der Oberfläche gestiegen seien. Einige dieser Glocken habe er mit den Händen greifen wollen, sie seien ihm aber fast wie Gallerte zwischen den Fingern zerronnen, und jetzt brennen ihm die Hände, wie wenn er Nesseln angegriffen hätte. Wir ahnen sogleich, daß er einem Zuge von Medusen begegnet sei, und da wir noch keine dieser Thiere zu beobachten Gelegenheit hatten, so eilen wir mit größeren Gefäßen an den Strand, wo wir einige ausgeworfene Exemplare zu finden hoffen. Unsere Erwartung wird auch nicht getäuscht und nach kurzem Suchen kehren wir mit reicher Ausbeute nach Hause zurück.  - Carl Vogt, in: Unterhaltungen mit Bakunin. Hg. Arthur Lehning. Nördlingen 1987

Sonntag (3)   Man kann nie die fenster öffnen und das ist für mich, der immer zeitlebens bei offenen fenstern im sommer lebte und schlief, garnicht anzugewöhnen. Schlimmer: der fürchterliche autogasdunst, der sich in der schluchtengen gasse anstaut, vermischt mit fettgestank aus vier gastbuden nebenan, wo man hühner grillt - so kam der sonntag, der 31.Mai, einer der übelsten tage meines lebens. Es war im zimmer 26 grad, konnte nicht schlafen, riss fenster auf, da stürzte wie ein katarakt der krach und der staunk oder stunk hinein,- morgens erbrach ich mich, mittags war ich am Wahnsinn - bei Colsman eingeladen schleppte ich mich zum bus, kaum bei ihm, verlor ich die nerven, brach in tränen aus, große bestürzung, denn bei noblen und reichen leuten tut man doch sowas nicht.. Die Priesterin der »Christengemeinschaft« wurde geholt, übergoss mich mit echt indischem Öl, (es war aber Melissengeist), und tröstete mich: es sei Vorbereitung auf kommende Wiederverkörperung. Ja, die gebens billig.  - Hans Jürgen von der Wense, Von Aas bis Zylinder, Bd. I. Frankfurt am Main 2005

Sonntag (4) Eine hyperästhetische Senorita definierte den Sonntag so: sie sagte, und dabei wies sie auf einen Ziegelstein, in dessen Ritze eine Blume wuchs: „In diesem Ziegelstein ist es Sonntag."   - Ramón Gómez de la Serna, Der Traum ist ein Depot für verlegte Gegenstände. Greguerías. Berlin 1989

Sonntag (5) In gehobener Laune kehrte Kien am Sonntag von seinem Spaziergang heim. An Sonntagen waren die Straßen um diese frühe Zeit leer. Ihren freien Tag traten die Menschen mit Schlaf an. Dann warfen sie sich in ihre besten Kleider. Vor dem Spiegel verbrachten sie die ersten wachen Stunden in Andacht. Während der übrigen erholten sie sich von ihren Fratzen an andern. Zwar war jeder sich selbst der Beste. Aber um es zu beweisen, ging man unter Mitmenschen. Wochentags schwitzte oder schwatzte man für sein Brot. Sonntags schwatzte man umsonst. Mit dem Ruhetag war ursprünglich ein Schweigetag gemeint. Was aus dieser wie aus allen Institutionen geworden war, ihr genaues Gegenteil, sah Kien mit Spott. Er hatte für einen Ruhetag keine Verwendung. Denn er schwieg und arbeitete immer. - Elias Canetti, Die Blendung. Frankfurt am Main 200 (zuerst 1935)
 
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