Polizei-Slapstick    Kollberg kannte den Plan bis ins letzte Detail auswendig, aber er wußte auch, daß Gunvald Larsson nicht die leiseste Absicht hatte, sich daran zu halten.

Darum wich er jetzt ein wenig zur Seite.

Gunvald Larsson veränderte seine Position ebenfalls, baute sich mitten vor der Tür auf und beäugte sie abschätzend. Sie sah nicht unmöglich aus.

Türen einzuschlagen, war bei Gunvald Larsson eine Art Manie, dachte Kollberg. Es gelang zwar fast immer, aber Kollberg mißbilligte die Methode aus grundsätzlichen Erwägungen und schüttelte deshalb den Kopf und winkte ablehnend mit der Hand.

Wie nicht anders erwartet, ließ sich Gunvald Larsson nicht davon zurückhalten. Er wich bis zur Wand zurück und stützte sich mit der rechten Schulter daran ab.

Rönn schien sein Vorhaben zu ahnen und mitmachen zu wollen.

Gunvald Larsson nahm Anlauf, um sich gegen die Tür zu werfen, geduckt und mit vorgeschobener linker Schulter, ein lebender Rammbock von einhundertacht Kilo und einszweiundneunzig Länge.

Kollberg war natürlich auch mit von der Partie, jetzt, da die Dinge diese Wendung genommen hatten.

Niemand hatte jedoch voraussehen können, was innerhalb der nächsten Minute geschah.

Gunvald Larsson warf sich vorwärts, und die Tür flog so widerstandslos auf, so als habe es sie gar nicht gegeben.

Der unerwartete Mangel an Gegengewicht bewirkte, daß Gunvald Larsson geradeaus durch die Türöffnung sauste. Ohne Möglichkeit zu

bremsen, flog er wie ein durchgehender Hebekran weiter quer durchs Zimmer und schlug an der gegenüberliegenden Wand kräftig mit dem Kopf auf. Der Rest seiner gewaltigen Körperhülle fuhr jedoch fort, den Gesetzen der Schwerkraft zu folgen. Sein Körper fuhr herum, aber leider zur falschen Seite, so daß er mit dem Hinterteil die Fensterscheibe hinausdrückte und in einer Wolke von Glasscherben rückwärts durchs Fenster fiel. In der allerletzten Sekunde ließ Gunvald Larsson seine Pistole los und packte mit seiner großen Faust den Fenstersims. So blieb er mit mehr als der Hälfte seines Körpers fünf Stockwerke über der Erde vor dem Fenster hängen, während er sich mit der rechten Hand und der rechten Kniekehle verzweifelt festklammerte. Sofort strömte aus tiefen Schnittwunden in der Hand Blut heraus, und auch das Hosenbein begann sich rot zu färben.

Rönn war nicht genauso schnell, aber doch genügend flink auf den Füßen, um genau in dem Augenblick über die Türschwelle zu gelangen, da die Tür in quietschenden Scharnieren zurückfiel. Sie traf ihn mit voller Wucht an der Stirn. Er verlor seine Pistole und fiel rücklings auf den Treppenabsatz hinaus.

Als die Tür nach dem Zusammenstoß mit Rönn zum zweitenmal aufflog, gelang es auch Kollberg, in die Wohnung zu hasten. Ein schneller Überblick zeigte, daß das einzig Lebendige in diesem Raum Gunvald Larssons eine Hand und sein einer Unterschenkel war. Kollberg stürzte hinzu und grapschte mit beiden Händen das Bein.

Das Risiko, daß Gunvald Larsson fallen und zu Tode stürzen würde, war sehr groß. Kollberg lehnte seine ansehnliche Leibesfülle gegen das Bein, und es gelang ihm, den herumfuchtelnden linken Arm seines Kollegen mit der Rechten zu packen. Einige Sekunden lang schien es, als wäre die Gewichtsverteilung zu unvorteilhaft, und sie würden beide hinunterstürzen. Aber Gunvald Larssons zerschundene rechte Hand ließ nicht los, und Kollberg gelang es schließlich unter Aufbietung seiner letzten Kräfte, seinen über der Erde schwebenden Kollegen wieder ins Zimmer zurückzuzerren, zwar zerrissen und blutend, aber doch lebendig.

Rönn hatte nicht das Bewußtsein verloren und kroch jetzt auf allen vieren über die Schwelle, während er nach seiner Pistole tastete, die er hatte fallen lassen.

Der nächste Mann auf der Szene war Zachrisson, und ihm auf den Fersen folgte in langen Sätzen der Hund. Zachrisson sah RÖnn auf allen vieren herumkriechen, während ihm das Blut aus der Nase und auf eine auf dem Fußboden liegende Pistole tropfte. Zachrisson entdeckte auch Kollberg und Gunvald Larsson, die vor dem zertrümmerten Fenster ineinander verknäult und blutig dalagen. Die beiden waren offensichtlich außer Gefecht gesetzt.

Zachrisson rief: «Halt! Polizei!» Dann hob er die Pistole und gab einen Schuß ab, der die Deckenlampe traf, eine weiße Glaskugel. Sie explodierte mit einem ohrenbetäubenden Knall.

Dann drehte Zachrisson sich auf dem Absatz um und schoß auf den Hund. Das Tier sank auf die Hinterläufe und ließ ein schmerzerfülltes Jaulen ertönen, das durch Mark und Bein ging.

Zachrissons dritter Schuß ging durch die geöffnete Badezimmertür und durchbohrte die Warmwasserleitung. Ein langer Strahl heißen Wassers schoß fauchend ins Zimmer.

Zachrisson drückte noch einmal ab, aber die Pistole versagte, und der Mechanismus verhakte sich.

Der Hundeführer rannte mit wildem Blick ins Zimmer. «Die Schweine haben Boy erschossen!» schrie er gellend und zog seine Dienstwaffe. Er fuchtelte mit der Pistole herum und sah sich wütend nach jemandem um, an dem er Rache nehmen konnte.

Der Hund heulte schlimmer als zuvor.

Ein Konstapel in blaugrüner kugelfester Weste und mit schußbereiter Maschinenpistole lief durch die Türöffnung, stolperte über Rönn und fiel kopfüber auf den Fußboden. Seine Waffe segelte übers Parkett. Der Hund, der offenbar nicht lebensgefährlich verletzt war, biß ihn in die Wade. Der Polizist begann um Hilfe zu schreien.    - Sjöwall/Wahlöö, Verschlossen und verriegelt. Reinbek bei Hamburg 1975

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