flastermaler Die Schöpfer waren zwei blonde junge Männer und ein Mädchen aus Indochina. In der Kreideschachtel häuften sich die Zehn- und Zwanzigfrancstücke. Hin und wieder bückte sich einer der Künstler, um eine Kleinigkeit zu verbessern, und man konnte die Beobachtung machen, daß in solchen Augenblicken die Spenden zunahmen.
- Sie wenden das Penelope-System an, sagte Oliveira, nur daß sie nicht auftrennen, was sie gemacht haben. Diese Dame zum Beispiel hat erst dann Geld springen lassen, als die kleine Tsong-Tsong sich auf den Boden warf, um die blauäugige Blondine noch ein wenig zu retuschieren. Arbeit erweicht die Leute, das ist eine Tatsache.
- Heißt sie Tsong-Tsong?
- Keine Ahnung. Sie hat hübsche Fesseln.
- Soviel Arbeit, und dann kommen in der Nacht die Straßenfeger, und weg ist es.
- Gerade darin liegt ja das Gute. Über farbige Kreidebilder als eschatologisches
Symbol, Thema für eine Doktorarbeit. Würden die städtischen Straßenkehrmaschinen
nicht Schluß damit machen, wenn der Morgen graut, käme Tsong-Tsong selber mit
einem Eimer Wasser. Nur das hört wirklich auf, was jeden Morgen von neuem beginnt.
- (
ray
)
Pflastermaler (2) Sie lachte, lief
zwei Schritte zurück, nahm einem der auf den Knien rutschenden Kinder die Kreide
aus der Hand, malte mit flinker schlanker brauner Hand in Weiß auf dem Grau
des Pflasters einen Engel mit weiß bepuderten Haaren, der dahinschwebend ein
Herz in seinen Händen balanciert wie ein übergroßes Tablett. Engel bringen das
Gewünschte, sagte Arlecq zu den Kindern, die staunten, indes lsabel ein R und
ein M in das Herz schrieb, ihr Herz im Staub der Straße (dachte Arlecq), das
der Engel hostiengleich vor sich her trug. Sie gab die Kreide zurück, die Kinder
dankten. lsabel strahlte und war albern, wie es Klee nicht gewesen wäre,
der keine Frau war, sondern ernst und ein Mann. Doch über das, was dann geschah,
hätte auch er gelächelt wie Gott lächelt, wenn er sich sonntags einen Spaß erlaubt
und die Kobaltbombe erfindet. Denn was geschah? Es geschah, daß ein
Leichenwagen, schwarz, silberwürdig, die Straße befuhr, daß lsabel sich
bekreuzigt hätte, hielte sie in letzter Minute nicht die von ihrem Vater genossene
republikanische Erziehung zurück. Ein Leichenwagen fuhr auf, ungebeten wie der
Tod, daß es eine Unanständigkeit war an diesem Sommernachmittag im kühlen Schatten
der Brückengeländer. Auffuhr ein Leichenwagen denn, überfuhr den Engel, rollte
glatt darüber hin auf abgenutzten Reifen, daß sich weiß die Reifen färbten mit
Herz, Haaren, Initialen, alles mit ins Jenseits nehmend, endlich auch das R
und M, A und O einer ganzen Liebe, eins gewesen in einem Herzen. Arlecq lächelte
wie Klee gelächelt haben würde, wie Gott lächelte über einen Spaß des Papstes
Pius XII. alias Pacelli. Qué mal agüero, sagte lsabel ergriffen bis ins Innerste.
Vielleicht muß ich jetzt sterben, Roberte, oder du wirst mir untreu oder ich
werde dir untreu und du mußt sterben. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht.
Oder aber du bekommst ein Kind, sagte Arlecq. - Fritz Rudolf Fries, Der Weg nach Oobliadooh. Leipzig
1993 (zuerst 1975)
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