Pferdhaftigkeit  Jetzt werden mir Bilder geschehen, und ich werde Verwandlungen erleiden, so wie es dem Sumpf geschieht, wenn er sich der Nacht hingibt. Ich entdecke mich lichtvoll, beweglich, initial; ich sitze auf einem Stuhl, den ich als Thron betrachte, und befehle, daß man die Pferdhaftigkeit hereinführt. Wem befehle ich es? Vielleicht dem Stuhl, oder einem zerschlissenen Teppich, den ich am Boden bemerke. Aber ist das nicht schon das Stampfen der Pferdhaftigkeit auf der Treppe? Da ist sie ja, meine liebe Pferdhaftigkeit. Ich frage sie, wie es ihr geht, sie antwortet mir in einer wirren aber lärmenden Sprache, drückt ein aggressives Glücklichsein aus. Schon lange habe ich im Sinn, die Pferdhaftigkeit zu töten. Ich ertrage dieses ferne, marmorne, zähe, undurchdringliche Pferd nicht mehr. Ich fordere es auf zu reden, aber ich höre ihm nicht zu, ich lege mir einen Dolch zurecht, wahrscheinlich werde ich ihm den Hals aufschlitzen, es köpfen, es häuten lassen. Oh! Noch nie hat jemand die Pferdhaftigkeit getötet und gehäutet, nicht wahr? Die Pferdhaftigkeit hört auf zu reden und schaut auf meine Hand; sie hat meine Absicht verstanden, und ihr Blick zeigt weder Härte noch Bitterkeit. Sie nähert mir ihren mächtigen abstrakten Kopf und flüstert mir zu: »Warum bist du so töricht?« Ich schaue ihr in die Augen, jene Augen, die mich an ein fernes Bild erinnern, zu fern, als daß ich verstehen könnte, um wen es sich handelt; es muß eine Erinnerung von früher sein, als es in meinem Leben den Sumpf noch nicht gab und ich mich der Pferdhaftigkeit entzogen hatte. Ich streichle den Kopf der Pferdhaftigkeit und weine.   - Giorgio Manganelli, Der endgültige Sumpf. Berlin 1993 (zuerst 1991)
 
 

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