ariserin
Ich trage mich mit dem Gedanken, heute bei Fernande zu schlafen.
Sie ist indessen unversehens verschwunden. Aufgeregt wie ich mich habe, suche
ich bei den Brasserien in der rue Coufflot herum und finde ein Mädchen in schlampiger
Toilette mit großen geheimnisvollen Augen. Nach längerer Unterhaltung begleite
ich sie auf ihr Zimmer, das einen sehr angenehmen häuslichen Charakter trägt.
Nachdem sie sich ausgezogen, setzt sie sich mir auf den Schoß: »Faites moi un
petit cadeau!« Ich streife dabei an ihrem Schenkel eine Narbe, die mich stutzig
macht. Sie sagt mir, die Nadel sei ihr abgebrochen, sie ist nämlich Morphinistin.
Krank könne sie nicht gut sein, da sie mehrere Internes aus dem Hospital zu
Freunden habe. In der Tat sehe ich den ganzen Schenkel voll kleiner picures.
Ich frage sie, ob sie denn überhaupt noch das Bedürfnis habe, de faire la noce.
O ja, man sei sogar viel erregter. Ob sie denn menstruiere. Nein. Ich lege mich
sehr behaglich und in keiner Weise nach Liebe lüstern zu Bett. Sie macht sich
zwei Injektionen, wäscht sich und legt sich zu mir. Darauf beginnt sie, auf
ihre Freundin zu schimpfen in einem ununterbrochenen Wortschwall, indem sie
mir zur gleichen Zeit meinen Unaussprechlichen kajoliert. Schließlich ist es
soweit, mais il faut le monter. Je sens tres étroite. Sie hat nicht unrecht,
scheint in der Tat erregt, elle grince des dents, wenn nicht alles Komödie ist.
Nachdem sie ihre Toilette gemacht, mich gleichfalls pflichtschuldigst gewaschen
und wir wieder im Bett liegen, gibt sie mir ein Journal, nimmt selber ein anderes
und liest, indem sie mich zur gleichen Zeit wieder ganz mechanisch bearbeitet.
Indessen kommen wir überein, daß wir eigentlich noch zu Baury gehen könnten.
Es ist gerade Tag geworden, wir ziehen uns an. Sie nimmt ihren Hund auf den
Arm, nachdem sie ihm vorher die Locken gekämmt, und wir gehen zu Baury, wo noch
eine größere Gesellschaft versammelt ist. Nachdem wir uns mit Apfeltorte und
einigen Gläsern Milch gestärkt, trennen wir uns. Sie heißt Marie Louise. Rue
Honge 25. Ich lege mich zu Bett, lese noch eine Stunde Nietzsche und schlafe
gegen 6 Uhr ein. - Frank Wedekind, Tagebuch. Nach: Das Tier
mit den zwei Rücken. Erotika. Hg. Roger Willemsen. Köln 1990
Pariserin (2) Ich saß also auf meinem Stuhl
an der Küchentür und sah den einarmigen Feldwebel an... er sah mich auch an...
«Aus Paris? aus Paris?»
Woher wir kämen...
«Ja! ja!»
«Schöne Frauen da!»
Ganz gleich, wo man sich befindet... im Konfettiregen, im Bombenhagel, im
Keller oder in der Stratosphäre, im Gefängnis oder in einer Botschaft, am Äquator
oder in Trondheim, man kann sicher sein, ein unmittelbares Interesse zu erregen,
man wird immer nur nach einem gefragt: der berühmten Scheide
der Pariserin! Ihr Gesprächspartner sieht sich schon zwischen ihren Schenkeln,
mitten im Glücksrausch, im Hochzeitsflug, während er die barisienne mit seinem
Entzücken überschwemmt... er sagte mir, der einarmige Feldwebel... ganz traurig...
«Nie mehr wieder!... nie mehr!» - Louis-Ferdinand Céline, Norden. Reinbek
bei Hamburg 2007 (zuerst 1964)