Muskelfrau (3) Wie alle Vulkane war auch
der Ätna in so manche mächtige, mythische Rauferei verwickelt: und etwas Mythisches
haben auch diese Frauen, die selbst die entfernteste Erinnerung an Nippes, Kitsch
und Aquarell von sich abgetan haben. In meiner Phantasie sind sie riesengroß,
unerreichbar, von wunderbarer Plastizität. Was den alten Griechen als ästhetisch
unschicklich galt, haben sie akzeptiert und verschärft, anstatt es zu verniedlichen.
Die Nummer 13 hat unermeßliche Schenkel und dorische Waden; die Brustpartie
der Nummer 10 ist das Werk eines Bildhauers, der sonst Metallplatten zu bewältigen
pflegt; man ahnt Hinterbacken à la Michelangelo; die Füße sind hart, exakt,
das schmale Ende eines Körpers, der einer Säule zu entschreiten scheint; das
Lächeln, ich bitte Euch, schaut Euch an, wie sie lächeln. Spott hegt wohl darin,
Exhibitionismus auch, aber kein Narzißmus; war Euch je zu Bewußtsein gekommen,
daß die Frauen so viele Zähne haben? Die Lippen
spreizen sich auseinander, um eine blitzende, erlesen wilde Geometrie von Hauern
zu entblößen. Die Hüften sind im allgemeinen hoch angesetzt, weder mütterlich
noch zart. Das Foto, auf dem die Frau mit der Nummer 10 abgebildet ist, dürfte
das vielsagendste sein. Ein kluges, munteres Gesicht auf einem Körper, der in
seiner Art furchterregend ist. Ein absurd geweiteter, >häßlicher< Hals,
der aber Raum einnimmt und Raum vergewaltigt. Alles ist schrecklich und alles
ist unschuldig an ihr, denn es hat Stil. Diese Nummer 10 ist vielleicht eine
unbewußte Schauspielerin; ihre gefalteten Hände — so ›weibhch‹ im anderen Sinn
- scheinen halb ironisch, halb feierlich auf etwas Subtiles und etwas Verhextes
hinzudeuten. Mit der Freundlichkeit des Zeichens verbindet sich die prachtvolle
Artikulation der Hände; und erst die Geste - was wohl diese Geste bedeutet?
Sie kann eine abstrakte Darstellung des Betens sein; vielleicht ein Gruß, jene
elegante, stille Geste, mit der in Thailand und im Fernen Osten Liebende einander
ehrerbietig begegnen. Ein Willkommensgruß, ein Freudengruß. Gewiß nicht der
Ausdruck gesellschaftlicher Zustimmung, sondern eine zeremonielle Geste. Wie
viele Dinge verrät uns diese Fotografie. Antlitz und Lächeln strahlen in sanftmütiger
und handfester Herzlichkeit; der Körper ist Gestalt gewordener Raum; und die
Hände - was sagen die Hände? Sie meinen wohl Gebet, Kopfsprung, Tanz; aber vor
allem entbieten sie einen stillen, freundschaftlichen Gruß: so grüßt eine Unbekannte
einen Unbekannten, die durch geheimnisvolle Bande verbunden sind. Denn das,
meine Herren, ist in Wahrheit einzig und allein der Gruß einer Frau. -
Manganelli furioso. Handbuch für unnütze Leidenschaften. Berlin 1985
Muskelfrau (4)
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