Mondlicht in einem Baugerüst
am Ende des 20. Jahrhunderts, einfach wie Mondlicht in einer
übriggebliebenen Allee, schön wie ein langes Klaviersolo Lennie
Tristanos, ein Bücherregal mit noch nicht gelesenen
Büchern, kräftig wie ein Güterzug, flache Schatten, Entzückungen:
voller Mond im September über der Seitenstraße in der Innenstadt
abends 9 Uhr. Das Wort Mondlicht erinnert mich u. a. an Mondlicht
und
nachts im leeren Gang eines Schnellzuges am Fenster zu stehen
und h in auszublicken auf eine Landschaft, über der das Mondlicht
ausgebreitet ist, offen, gewöhnlich und unsentimental wie eine
dunkle
Tankstelle in der sonst menschenleeren
Weite, oder wie Sonntagnachmittags drei Uhr „hang on, sloopy"
zu hören und auf einen leeren Park Platz zu schauen, wo ein
umgekippter emaillierter
Elektroherd Hegt. Mondlicht erinnert mich an Kühe, die im
hochgewachsenen Gras liegen und friedlich wiederkäuen, Mondlicht
erinnert mich an Zimmer, die man betritt und, ehe man das Zimmerlicht
anknipst, sieht man am Fenster eine Heizung mit darauf Mondlicht,
durch das man auf einem Weg mit vereisten Wagenspuren im Winter
geht, Eisflächen unter dem Mondlicht mit Sternbildern darüber,
aufblitzende weiße
Kristalle: Mondlicht hoch über der Neonbeleuchtung der Straße,
Mondlicht wiedergespiegelt in den breiten Schaufensterflächen
in der Innenstadt, menschen leer, unverständlich, kulissenhaft.
Mondlicht erinnert
mich nicht an Schlaftabletten, Mondlicht erinnert mich nicht
an Dialektik, Mondlicht fällt auf einen leeren Tisch, Mondlicht
fällt auf Buchstaben und Schallplatten. Auf dem Kühlschrank
steht weißes
Geschirr, zusammengestellt in der dunklen Küche, in die Mondlicht
fällt, direkt, genau, ohne Vorhänge. Hinter den Fenstern ist
ein Lichtschacht mit Mondlicht, das mich an einen Spaziergang
ohne zu reden
erinnert, das Gehen, friedlich und einverstanden, nebeneinander.
Das Sonnenlicht kocht die Zusammenhänge auf, die Tage sind klar,
Arbeit, das Durcheinander der Dinge, die verwirrt machen, wüst
und den Ausblick
verstellen, Tageslicht schafft den Umsatz, die Sonne wandert,
die Schatten verschieben sich, schieben sich ineinander, werden
flacher und lösen sich auf. Elektrische Lichter werden angeschaltet.
Im ersten
Mondlicht stehen neue Hochhäuser im Niemandsland am Ende
des 20. Jahrhunderts. Als ich aus der Haustür trete, erinnert
mich ein dunkles Fenster an 1946er Mondlicht, Eisblumen früh
abends am Fenster, das Glitzern der
kräftigen Armut, noch nicht von den Bedeutungen erschöpft, Mondlicht
ist Mondlicht, verteilt in dem weißen Farn auf dem Fensterglas.
Mondlicht ist keine Entschuldigung für irgendwas. Im Mondlicht,
bei offenem Fenster, höre ich
eine Straßenbahn unter dem Mondlicht und Stimmen auf der
Straße, Mondlicht und weiße leere Sommerstühle im Dunkeln, Mondlicht
und ,,wahnsinnig, wie viele Bäume hier abgestorben sind,"
sagte ich heute abend, als wir
mit dem Fahrrad die Universitätsstr. entlangfuhren, Mondlicht
und Fahrräder, das mag chinesisch klingen. Es war volles Mondlicht
und überhaupt nicht wie die zwei krummen alten Männer, in Betrachtung
des Mondes versunken,
obwohl ich mich manchmal gefragt habe, was sie einander erzählen,
wie C. D. Friedrich sie dort auf dem Schotterweg gemalt hat,
gebückt, vorgebeugt, auf ihren Krücken, in weite Umhänge gehüllt.
Die Baumwurzeln tanzten, aus dem Boden
gerissen, in einem fantastischen Schrecken. Wir fuhren in
Betonflächen entlang, wir starrten die Häuserfronten an: da
sind Fenster, die keine Fenster mehr sind, da sind Straßen,
die keine Straßen mehr sind, da sind Häuser
und Zimmer, die keine Häuser und Zimmer mehr sind. Hinter
den Betonwänden schliefen Menschen. Haben sie nur geschaut? Entzückt
über Mondlicht und was sie versäumten? Kaltes Mondlicht auf der
Straße, vergangenes Mondlicht und
das Mondlicht in hunder tdreiß ig Jahren, windbewegte weiße
Helle nachts über das Gras, eine weite Fläche Hin. Das Mondlicht
gibt keine Auskunft. Siebzehn Jahre und Mondlicht in einem aufgebrochenen
Eisenbahnwaggon
ist eine deutliche Situation wie Mondlicht und eine Haltestelle
im Vorort, Mondlicht auf die Kanten und Ecken der Zimmer. Büromöbel,
Aktenschranke, Schreibtische im Mondlicht sind häßlich, und eine
weiße Wand mit einem
Feuerlöscher in einem langen Flur mit Mondlicht ist ein Feuerlöscher
an einer weißen Wand wie meinetwegen Mondlicht auf dem Mond,
Mondlicht und ein Stapel Formulare, Mondlicht und Putzfrauen,
Mondlicht und zerrissener Maschendraht
und eine Sonnenblume. Ah, ich sah noch nie vorher eine Sonnenblume
im Mondlicht. Die Sonnenblume wirft einen sanften großen Schatten
im Mondlicht, erstaunlich wie Mondlicht auf meinen Schuhen und
ein dunkler, abgeschlossener
Gemüseladen im Mondlicht, Artischocken und Apfelsinen Kisten
mondHchtweiß, Auberginen im Mondlicht, Zitronen. Und mir ist
egal, ob das Mondlicht paßt oder nicht, das Mondlicht fällt in
den Supermarkt, es macht
die Dinge einfach mehr weniger, und zu fragen, nach wieviel
Stößen kommst du unterm Mondlicht ist Schwachsinn unterm Mondlicht,
und es macht gar keinen Sinn, das Mondlicht anders zu beschreiben
als mit Mondlicht. Und wenn ich sage,
das Mondlicht ist eine Türklinke im Mondlicht, heißt das, das
Mondlicht ist schön wie Mondlicht, und es ist Zeit, mit den Vorschriften
aufzuhören.
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