ondmann   Neunundneunzig Ratsherren sahen schweigend und erwartungsvoll den großen Herrn Knéppara an.

Und nach einem langen Schweigen sprach der Knéppara also:

»Die Erdmänner haben für uns eine außerordentliche Bedeutung gewonnen. Es ist mir und meinen Freunden verdacht worden, daß wir uns mit so viel Eifer um die Erdmänner kümmern, obschon wir wissen, daß sie niedrigstehende, beklagenswerte Geschöpfe sind, die einer Entwicklungsstufe angehören, die wir auf dem Monde so lange hinter uns haben, daß wir uns ihrer gar nicht mehr zu erinnern vermögen, obschon wir an schlechtem Gedächtnis wahrlich nicht leiden. Es wird namentlich mir persönlich vorgeworfen, daß ich mich von dem ekelhaften Auf- und Ableben der Erdkreaturen nicht unangenehm berührt fühle. Nun möchte ich bitten, die Objektivität des Zuschauers nicht für Urteilslosigkeit zu halten — und auch nicht mit Unempfindlichkeit zu identificieren. So was mutete doch sonst ein Mondmann dem andern nicht zu. Ich gestehe, daß mich das ganze Leben der Erdmänner in all seiner viehisch fressenden Rohheit ebenso abstößt, wie es jeden Weltfreund abstößt. Andrerseits bin ich aber doch der Überzeugung, daß selbst unter so niedrigstehenden Kreaturen bereits einzelne sein können, deren Gesellschaft uns vielleicht nicht — so furchtbar unangenehm sein würde. Und diese paar besseren Erdleute, deren Zahl naturgemäß sehr winzig ist, veranlassen mich, die Sache der Erdfreunde nochmals zu verteidigen. Ich weiß, es wird mir der Kampf wahrlich nicht leicht gemacht. Ich strebe auch nicht mehr danach, als ein Sieger aus diesem Kampfe hervorzugehen. Ich will nur retten, was noch zu retten ist.«    - Paul Scheerbart, Die große Revolution. Ein Mondroman und Jenseitsgalerie. Frankfurt am Main 1985 (st 1182, zuerst 1902)

Mondmann (2) Welcher Art die Bewegung auf dem Mond war, fällt mir schwer zu beschreiben. Es schien, als hätte die Mondscheibe ihren Platz verlassen, und an ihrer Stelle bliebe ein düsterer, schwarzer Fleck am Himmel; indessen die glänzende Kugel mehr und mehr herabzusinken schien; und indem ich nun von dem näher und näher rückenden Mondball auf die Erde herabmaß, um beiläufig jene Stelle zu finden, auf der, sollte das Unglaubliche geschehen, unser Erden-Trabant landen mußte, entdeckte ich zwei glitzernde Linien, dünn wie Telegraphen-Drähte, aber funkelnd wie Morgentau, die, vom Mond ausgehend, zur Erde herabreichten, deren irdisches Ende aber zunächst meinem Augenmerk sich entzog. Während ich so mit verhaltenem Atem diese Reihe von Erscheinungen verfolgte, bemerkte ich, daß die zwei hellen Linien, die ich lieber für Schnüre gehalten hätte und, nach meinem irdischen Maßstab gemessen, etwa anderthalb Fuß auseinanderstanden, durch Querleisten verbunden waren, und wie zu meinem größten Schrecken an diesen Querleisten ein zappelndes gelbes Geschöpf, wie an einer Strickleiter, mit großer Emsigkeit sich herabbewegte, und mit so dünnen Beinen, daß ich, auf die unendliche Entfernung, den Eindruck erhielt, eine gelbe Heuschrecke bewege sich mit großer Leichtigkeit und in scharniermäßigem Einerlei zur Erde herab, den Mond wie einen leichten, luftigen Ballon nach sich ziehend. - Es ist mir ganz unmöglich, anzugeben, wie lange diese Steig-Arbeit dauerte; ich bemerkte nur, daß es vollständig Nacht war und das summende Geräusch aus der nahen, bis tief in die Nacht hinein belebten Stadt vollständig erloschen war, als keine dreihundert Schritt von mir ein langer gelber Mann zur Erde stieg, der hinter sich an einer Schnur den Mond nach sich zog. Obwohl ich die ersten Bewegungen an unserem Himmelskörper mit der größten Spannung, ja mit Schrecken wahrgenommen, ließ mich das endliche falbelhafte Resultat relativ unberührt; ich schließe daraus, daß das Niedersteigen Stunden gewährt haben muß, um einen derartigen unerhörten Akt durch die fortwährende Beobachtung schließlich in seinem Einfluß auf mein Gemüt wirkungslos zu machen. - Der lange gelbe Mann, der, nebenbei gesagt, schrecklich mager war, schien mit etwas nicht zufrieden zu sein; er war auf einem Stoppelfeld, und suchte und suchte auf dem Boden herum, dabei fortwährend den Mond hinter sich drein ziehend, und begab sich endlich auf ein frisches Winter-Saatfeld, das, - Gott sei Dank! - nicht in meiner Richtung lag. Dort band er den Mond, der wohl eine Neigung nach oben zu steigen besaß, an einen Pflock fest, holte aus seinem kittgelben Anzug, mir unbegreiflich wie, eine Schaufel hervor, und begann zu graben.  - Oskar Panizza, Eine Mondgeschichte, in: O.P., Der Korsettenfritz. Erzählungen. München 1981 (zuerst 1890/93)
 
 

Mondmensch Mann

 

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