"Der muß klug sein"
- Goya, Caprichos. Zürich 1972 (detebe 33/1, zuerst 1799)
Mann,
bedeutender
(2) Akakij Akakijewitsch beschloß, zu einer bedeutenden
Persönlichkeit zu gehen. Welches Amt diese bedeutende Persönlichkeit nun innehatte
oder welche Stellung sie bekleidete, das ist bis heute unbekannt geblieben.
Man muß wissen, daß diese bedeutende Persönlichkeit erst vor kurzem eine bedeutende
Persönlichkeit geworden und bis dahin eine unbedeutende Persönlichkeit gewesen
war. Im übrigen galt ihre Stellung auch jetzt nicht als bedeutend im Vergleich
zu anderen, noch bedeutenderen. Doch es findet sich ja immer ein Kreis solcher
Menschen, für die eine in den Augen anderer unbedeutende Persönlichkeit schon
eine bedeutende ist. Im übrigen bemühte sich diese bedeutende Persönlichkeit,
ihre Bedeutung durch viele andere Mittel zu erhöhen, indem sie zum Beispiel
einführte, daß die niedrigeren Beamten sie auf der Treppe empfangen mußten,
wenn sie ins Amt kam, daß niemand unmittelbar bei ihr erscheinen durfte, sondern
daß alles in streng geregelter Ordnung erfolgen mußte: der Kollegienregistrator
hatte dem Gouvernementssekretär Meldung zu erstatten, der Gouvernementssekretär
dem Ti-tularrat oder irgendeinem anderen entsprechenden Beamten, und auf diese
Weise sollte es weitergehen, bis die Sache endlich ihr vorgetragen werden konnte.
So ist nun einmal im heiligen Rußland alles von der Nachahmungssucht angesteckt,
jeder ahmt und äfft seinen Vorgesetzten nach. Es heißt sogar, daß sich irgendein
Titularrat, den man zum Leiter irgendeiner kleinen Sonderkanzlei gemacht hatte,
sofort ein besonderes Zimmer abgetrennt, es »Verhandlungszimmer« benannt und
an der Tür irgendwelche Theaterdiener mit roten Kragen und Galonen aufgestellt
habe, welche nach der Klinke langten und jedem Besucher die Tür öffneten, obwohl
im »Verhandlungszimmer« zur Not ein gewöhnlicher Schreibtisch Platz hatte. Das
Betragen und die Gewohnheiten der bedeutenden Persönlichkeit waren solide und
majestätisch, aber nicht kompliziert. »Strenge, Strenge - und noch einmal Strenge!«
sagte sie gewöhnlich und blickte bei dem letzten Wort sehr bedeutsam jenem ins
Gesicht, mit dem sie gerade sprach, obwohl dazu eigentlich gar kein Anlaß bestand,
weil sich das Dutzend Beamte, aus denen der ganze Regierungsmechanismus der
Kanzlei bestand, auch ohnedies im vorgeschriebenen Angstzustand befand: sobald
man ihn aus der Ferne erblickte, ließ jeder alles liegen und stehen und wartete
in strammer Haltung, bis der Vorgesetzte durch das Zimmer gegangen war. Sein
übliches Gespräch mit den Untergebenen zeichnete sich durch Strenge aus und
bestand fast nur aus drei Sätzen: »Wie können Sie es wagen? Wissen Sie, mit
wem Sie sprechen? Begreifen Sie, wer vor Ihnen steht?« Übrigens war er im Grunde
seines Herzens ein guter Mensch. - Nikolaj Gogol, Der Mantel. In: N.G., Sämtliche Erzählungen. Stuttgart u. Hamburg 1961
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