Mädchenschönheit Während auf ihr sein prüfendes Auge ruhte, dachte er: »Alle Glieder dieses Mädchens haben das rechte Ebenmaß: keins ist zu stark oder zu schwach, zu kurz oder zu lang, und kein Fleckchen stört die Reinheit ihrer Haut. Ihre Hände zeigen eine Menge glücklicher Linien: das Gerstenkorn, den Fisch, die Lotusblume, den Krug und wie sie alle heißen. Handflächen und Finger sind gerötet. Fußgelenke und Knöchel gehen sanft ineinander über. Die Füße sind nicht dürr, und die Sehnen sind an ihnen nicht sichtbar. Die Unterschenkel sind regelmäßig gerundet, die Knie treten nicht hervor, sondern stecken gleichsam in den fleischigen Oberschenkeln. Umfang der Hüften und Lenden bilden einen vollkommenen Kreis, der ebenmäßig geteilt, symmetrisch und durch Verteilung der Lendengruben anmutig geziert ist. Sehr fein ist die Gegend um den tiefliegenden Nabel, die ein wenig zurücktritt. Ihren Unterleib begrenzen in seinem oberen Teil drei zierliche Fältchen. Der ganze Raum ihres Busens ist von den beiden Brüsten bedeckt, von prachtvollem Umfang an ihrer Wurzel, gekrönt durch die hervortretenden Brustwarzen. Ihre Arme sind schlank und außerordentlich zart,vertieft an den Gelenken, an den Handflächen mit den Linien geziert, welche ein Zeichen für Geld, Getreide und zahlreiche männliche Nachkommenschaft sind. Ihre Nägel sehen wie Perlen aus; sie sind glatt und glänzend, schön gewölbt und weich. Gerade, ebenmäßig gerundet und rosig sind ihre Finger, und die Schultern senken sich nach beiden Seiten. Ihr lieblicher, zarter Nacken ist muschelförmig gerundet. Ihr Antlitz gleicht einer Lotusblume. Ihre Lippen sind rund und rot und in der Mitte deutlich voneinander getrennt, das anmutige Kinn ist nicht zu klein, das Wangenrund ist straff und zeigt gerade die richtige Fülle. Ihre Augenbrauen ähneln zwei Ranken. Sie stoßen in der Mitte nicht zusammen*, sind sanft gebogen, schwarz und glatt. Ihre Nase gleicht einer noch nicht völlig erschlossenen Sesamblüte, Langgestreckt sind ihre Augen. Sie funkeln in lieblichem Glänze, sind schwarz in den Augensternen, weiß in deren Umgebung und in den Winkeln rot und irren nicht unstet umher. Ihre schöne Stirne gleicht dem Halbmond und ist von einer Lockenreihe umrahmt, die sich in ihrer Schönheit ausnimmt wie eine Mine von Saphirsteinen. Ihre schönen Ohren hängen anmutig nieder wie zweifach geringelte Stengel welker Lotusblumen. Die Fülle ihres duftenden Haupthaars aber ist nicht über Gebühr gewellt und zeigt selbst an den Spitzen keinen rötlichen Schimmer, sondern ist in seiner ganzen mächtigen Länge gleichmäßig glatt und schwarz infolge natürlicher Beschaffenheit jedes einzelnen Haares.

Eine solche Gestalt kann die Schranken der guten Sitte unmöglich überschreiten. Schon hängt mein Herz an ihr, und an ihr allein. Ich werde mich also wohl mit ihr vermählen, wenn sie die Prüfungen besteht, die ich ihr auferlegen will. Denn wer unbedacht handelt, der kann unmöglich der Reue entgehen, zu der sich die Gründe in Menge und in ununterbrochener Reihe bei ihm einfinden.«

Nach dieser Überlegung richtete er seinen liebevollen Blick auf die Jungfrau und fragte sie: »Holdes Kind! Wärest du wohl imstande, mir aus diesem Prastha Reis eine vollständige Mahlzeit zu bereiten und mich damit zu bewirten?« 

* zusammengewachsene Brauen sind audi in Indien ein Merkmal der Hexen  

- Indische Märchen. Hg. und übersetzt von Johannes Hertel. München 1953 (Diederichs Märchen der Weltliteratur)

Mädchen Schönheit


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