Liebeskrank  Nina Fjodorowna war aus Moskau gebürtig. Ihre eigene Kindheit und Jugend sowie die ihrer zwei Brüder waren im Elternhause, in der Kaufmannsfamilie in der Pjatnizkaja-Straße, verlaufen. Ihre Kindheit war lang und langweilig gewesen; der Vater war rauh mit ihr umgegangen und hatte sie sogar dreimal mit Ruten gezüchtigt, ihre Mutter dagegen war lange krank gewesen und dann gestorben; die Dienstboten waren schmutzig, roh und heuchlerisch; häufig wurde das Haus von Popen und Mönchen aufgesucht, die ebenfalls grob und heuchlerisch waren; sie aßen und tranken und schmeichelten dabei grob ihrem Vater, den sie doch gar nicht mochten. Den Jungen glückte es, ins Gymnasium zu kommen, Nina aber blieb so ungebildet, wie sie war, sie schrieb ihr ganzes Leben lang mit Krähenfüßen und las einzig und allein historische Romane. Vor siebzehn Jahren, als sie zweiundzwanzig alt gewesen, hatte sie bei ihrem Sommeraufenthalt in Chimki ihren jetzigen Mann, den Gutsbesitzer Panaurow, kennengelernt, hatte sich in ihn verliebt und ihn insgeheim gegen den Willen ihres Vaters geheiratet. Panaurow, ein hübscher und etwas dreister Mann, der seine Zigaretten an dem Heiligenlämpchen ansteckte und immerzu pfiff, war ihrem Vater wie eine völlige Null vorgekommen, und als dieser Schwiegersohn dann in seinen Briefen eine Mitgift forderte, hatte der alte Mann der Tochter geschrieben, er werde ihr Pelze, Silber und verschiedene Gegenstände, die nach dem Tode ihrer Mutter zurückgeblieben waren, in ihr Landhaus schicken und an barem Gelde dreißigtausend, jedoch ohne elterlichen Segen; danach schickte er freilich noch weitere zwanzigtausend. Geld und Mitgift wurden verlebt, die Besitzung wurde verkauft, und Panaurow siedelte mit seiner Sippe in die Stadt über, wo er in die Dienste der Gouvernementsregierung trat. In der Stadt legte er sich noch eine zweite Familie zu, und jeden Tag wurde darüber viel geklatscht, da die ungesetzliche Familie sich vor der Öffentliclikeit nicht scheute.

Nina Fjodorowna vergötterte ihren Gatten. Und auch jetzt, während sie dem historischen Roman lauschte, mußte sie daran denken, was sie durchgemacht und wieviel sie während der ganzen Zeit gelitten und daß, wenn jemand ihr Leben beschreiben wollte, dies sehr traurig aussehen würde. Da ihre Geschwulst sich in der Brustgegend befand, war sie davon überzeugt, daß sie aus Liebe krank liege.   - Anton Tschechow, Drei Jahre. Nach (tsch)

Liebeskrank (2) Ich bin krank vor Liebe. Todkrank. Ein paar Kopfschuppen - und ich würde krepieren wie eine vergiftete Ratte.

Mein Körper ist schwer wie Blei, als ich ins Bett falle. Ich versinke augenblicklich in die tiefste Tiefe des Traums. Dieser Körper, ein Sarkophag mit steinernen Griffen, liegt völlig bewegungslos. Der Träumende erhebt sich aus ihm wie ein Nebel und umschweift die Welt. Der Träumer versucht vergeblich, eine Form und Gestalt zu finden, die seinem ätherischen Wesen angemessen ist. Wie ein himmlischer Schneider probiert er einen Körper nach dem anderen an, aber sie passen alle nicht. Schließlich muß er in seinen eigenen Körper zurückkehren, wieder die bleierne Gußform annehmen, ein Gefangener des Fleisches werden, weitermachen in Stumpfheit, Leiden und Langeweile.

Sonntagmorgen. Ich erwache taufrisch wie ein Gänseblümchen. Die Welt liegt vor mir, unentdeckt, unbefleckt, jungfräulich wie die arktischen Zonen. Ich schlucke etwas Natron und Chlor, um die letzten bleiernen Dünste der Trägheit zu vertreiben. Ich werde geradewegs in ihre Wohnung gehen, läuten und eintreten. Hier bin ich, nimm mich -oder stich mich tot! Stich mich ins Herz, stich mich ins Hirn, stich mich in die Lunge, die Nieren, die Eingeweide, die Augen, die Ohren! Wenn nur ein Organ am Leben bleibt, bist du verloren - verdammt für immer, die Meine zu sein in dieser Welt, der nächsten und in allen kommenden Wetten. Ich bin ein Desperado der Liebe, ein Skalpjäger, ein Totschläger. Ich bin unersättlich. Ich esse Haare, schmutziges Ohrenschmalz, trockene Blutklumpen, alles und jedes, was von dir stammt. Zeig mir deinen Vater mit seinen Papierdrachen, seinen Rennpferden, seinem Freibillett für die Oper: Ich werde alle in mich hineinstopfen, mit Haut und Haaren verschlingen. Wo ist der Stuhl, auf dem du sitzt, wo dein Lieblingskamm, deine Zahnbürste, deine Nagelfeile? Zeig sie her, damit ich sie auf einen Sitz verschlinge. Du hast eine Schwester, schöner als du, sagst du. Zeig sie mir - ich will ihr das Fleisch von den Knochen lecken.

Hm zum Meer, zum Marschland, wo ein kleines Haus gebaut wurde, um ein kleines Ei auszubrüten, das man, nachdem es Gestalt gewonnen hatte, Mara taufte. Daß ein dem Penis eines Mannes entschlüpfter Tropfen etwas so Überwältigendes hervorbringen konnte! Ich glaube an Gott den Vater, an Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn, an die Heilige Jungfrau Maria, den Heiligen Geist, an Ada Cadmium, an Chromnickel, die Oxyde und Quecksilberchrome, an Wasservögel und Wasserkresse, an epileptische Anfälle, die Beulenpest, an Dewachan, an planetarische Konjunktionen, an Hühnerspuren und Speerwerfen, an Revolutionen, Aktienstürze, Kriege, Erdbeben, Zyklone, an Kali Juga und an Hula-hula. Ich glaube. Ich glaube. Ich glaube, weil nicht zu glauben bedeutet, daß man wie Blei wird, flach und steif daliegt, für immer untätig dahinsiecht...  - Henry Miller, Sexus. Reinbek bei Hamburg 1980 (zuerst 1947)
 

 

Liebe Krankheit (psychisch)

 

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