Liebe, inexistente   Kann ich das Inexistente denn nicht einfach anrufen? Ihm nicht ein Eis anbieten oder ihm einen Heiratsantrag machen? Dich nicht mit mir anstecken, mich in Körper und Geschlecht verlieren? Oder ist es eine Extravaganz, eine Torheit, »Du« zum Inexistenten zu sagen - denn es bedeutet ja, daß Du gar kein »Du« bist, und daß ich demnach nur schweigend zu Dir spreche, und eindringlich wie von Verliebtem zu Verliebtem, und wenn ich Dich suche, stehe ich still, wenn ich impotent bin, stelle ich Dir nach, wenn ich Dir entgegenlaufe, weiche ich zurück. Und wohin ich auch gehe, ob voran oder zurück, ich entrinne Dir nicht und begegne Dir nicht. Es gibt keine Verabredung zwischen uns, am Ort und zur Stunde des Todes werde ich Dich nicht finden - ungewiß, ob Du verspätet oder woanders bist oder es vergessen hast, oder ob wir uns nicht riditig verstanden haben, weil es nicht lohnte, sich zu verstehen: diese fortgesetzten Mißverständnisse, die - verzeih mir - das wehmütigste Kapitel unserer Liebe sind; oder ich werde Dich ganz einfach deshalb nicht sehen, weil Du nicht da bist und folglich - nicht ohne Unverschämtheit - zur Gleichgültigkeit neigst. Du merkst gewiß, wie sehr ich Dich - vermutlich nicht ohne Vulgarität - als Inexistente bewundere; ich flüstere leise vor mich hin und kann das Gezischel meiner Lippen, mein Wortgespeichel, selbst nicht verstehen. Mit zweideutiger Genüßlichkeit bewege ich meine Hände, um mit geheuchelter Spiritualität ein Profil nachzuzeichnen, das ich nach Kennerart bewundere; mit hochgezogenen Augenbrauen gebe ich vor, einen besonders delikaten Effekt zu erhäschen, wobei ich meine Handballen aneinander reibe, als Zeichen körperlicher, man könnte auch sagen weltlicher Kompetenz ~ nicht minder geheuchelt wie rhetorisch akkurat. Hegte ich Dir gegenüber einen rein pädagogischen, akademischen Respekt, dann könnte ich eine akkurate, pedantische Einführung in das Inexistente schreiben - mit Literaturverzeichnis, Anmerkungen und neuestem Stand der Forschung; man hat mir nämlich angedeutet, daß die Philologie zuweilen mit dem Inexistenten verhandeln kann. Es würde indes meiner Berufung und der spezifischen, unnennbaren Beziehung, die uns trennt und vereint, viel eher entsprechen, wenn ich mich auf einen zweideutigen Führer durch die labyrinthischen Viertel des Nichts beschränkte: Restaurants mit vergifteten Speisen, Pissoirs, Kloaken und - natürlich, meine kleine Königin - Animierkneipen, Bordelle, Hurenhäuser, Puffs. Meine touristische Hure! Strichjunge von der Hauptstraße, Strumpfband und Gebiß für alle, Friede des Samens, Waffenstillstand der Schlaflosigkeit! Die Mauern biegen sich unter der Last der obszönen Worte. Im gesamten Universum gibt es kein Folterinstrument, das präzise und peinigend genug wäre, um gegen Deine berechnende Unredlichkeit anzukommen und Deine buhlerische Landschaft in einen klaren und ruhigen Spiegel oder ein prophetisches, leicht hysterisches Haustier zu verwandeln; Du spendest die weiche Freundschaft eines Mundes, komplizenhafte Briefchen, unlautere Worte, Entzücken.

Vielleicht erwartest Du teure und geschmackvolle Geschenke? Dann nimm dieses fleischige Präsent: das Wesen, das ich - dem Befehl gehorchend, der aus Deinen Träumen zu sickern schien - liebend getötet habe. Brauchst Du einen bärtigen Propheten, einen vertrauenswürdigen Mittler, eine in nächtlichen Stunden bewanderte Kupplerin? Sieh Dich vor: ein Augenblick der Unaufmerksamkeit genügt, und Du beginnst vom Nichtsein abzulassen. Und ich werde Dein spekulärer Liebhaber sein, Dein Ewigkeitsgenosse - ein Größenwahnsinniger, was uns freilich nicht scheidet. Die Ahnung eines Fingernagels wird mir genügen, und Du wirst Dich vor meinen törichten Artigkeiten nicht retten können; aber warum nicht zugeben, daß sie Dir -wenn Du ihnen von Deinem Anderswo her lauschst - ein wenig schmeicheln? Ich warte auf Deinen Fehler und schenke Dir, Liebe, die Nichtswürdigkeiten und Erhabenheiten der Verführung.   - Giorgio Manganelli, Amore. Berlin 1982 (Wagenbach Quartheft 118, zuerst 1981)

 

Liebe Nichtseyn

 

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