ebendigkeit Er
hatte gar eine lebendige Natur in seiner Jugend; da die begann, sich selber
zu empfinden, und er merkte, daß er mit sich selbst überladen war, das war ihm
bitter und schwer. Er suchte manche List und große Buße, wie er den Leib möchte
untertänig machen dem Geiste. Ein hären Hemd und eine eiserne Kette trug er
etwa lange, bis daß das Blut von ihm rann, so daß er es mußte ablegen. Er ließ
sich heimlich ein Unterkleid machen, und in das Unterkleid Riemen; darin waren
eingeschlagen anderthalbhundert spitzige Nägel, die waren von Messing und scharf
gefeilt, und wurden der Nägel Spitzen allzeit gegen das Fleisch gekehrt. Er
machte das Kleid gar eng und vorn zusammengereiht, darum daß es sich desto näher
an den Leib fügte und die spitzigen Nägel in das Fleisch drängen, und machte
es in der Höhe, daß es ihm bis an das Grüblein heraufging; darin schlief er
des Nachts. In dem Sommer, so es heiß war und er viel müde und krank von dem
Gehen war worden, oder so er ein Lektor war und er in den Arbeiten also gefangen
lag und ihn das Ungeziefer also peinigte, so lag er unterweilen und schrie und
gries-gramte in sich selbst und wandt sich von Nöten um und um: wie ein Wurm
tut, wenn man ihn mit spitzigen Nadeln sticht. Ihm war oft, als ob er in einem
Ameishaufen läge vor Angst des Gewürmes, denn so er gern geschlafen hätte, oder
so er entschlafen war, so sogen sie und bissen ihn widerstreit. Er sprach etwann
zu dem allmächtigen Gott mit vollem Herzen: O weh, zarter Gott, welch ein Sterben
dies ist! Wen die Mörder oder starken Tiere töten, der kommt bald davon : so
liege ich hier unter den ungenehmen Würmern und sterbe, und kann doch nicht
ersterben...
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Heinrich Seuse, nach: Hugo Ball, Die Flucht aus der Zeit. Zürich 1992
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