Landmensch    Erich denkt folgendes: Dem Mutigen gehört die Welt. AuT dem Berg, da kennt er sich aus. Er hat auch Bücher über Weiblichkeit und Leiblichkeit studiert, die er diskret mit dem Postversand erhalten hat. Der Rock und die Schnauze des Begehrens passen ihm so fesch wie sein Steirerhut den Feiertagen. Er hat weniger als ein Haus, sich hinein zu flüchten. Um zu ihm aufschauen zu können, das heißt, um endlich ja zu sagen, müßte diese Frau in den Boden wachsen wie Wurzelgeflecht. Sie ist wie auf einer Fotografie, nur hat sie eine gewisse Tiefe. Dieser Landmensch hat vor dem künstl. Medium Fernsehen weniger Ehrfurcht als andere, denn er hat keine andere Welt als die hiesige, um sich ab sechs Uhr abends darin aufzuhalten, genau, er besitzt keinen Apparat zum Hineinschauen. Gläubiger verfolgen ihn bis ins Wirtshaus. Das Land kennt nur den Mißbrauch seiner Bewohner an der Natur und den Schrecken der Natur für ihre Bewohner: diese kleinen, zu-rechtgehobelten Gestalten, diese Fehlfarben, und jetzt verfault ihnen auch noch ihre natürliche Umgebung unter den Füßen! Sie werden gewiß durch ein Loch im Boden alle schweigend aus der Welt hinausfallen, der Apparat beginnt zu brennen, und die Pflanzenmütter, entstellt, stellen sofort ihren Betrieb ein. Die Sitten und Mißbräuche von denen, und zwar an ihren Wohnungseinrichtungen, werden zunehmend roher, seit sie gelernt haben, Pläne zu schmieden und alle paar Jahre alles, was ihnen einst so teuer war, auf Teilzahlungsbasis ersetzen zu lassen. Ihre Umgebung häutet sich wie eine Schlange, nur sie bleiben gleich. Erich schreit vor Freude auf seinem Heimweg laut. Er möchte am liebsten sein Organ ausfahren wie im Buch auf einem Querschnitt abgebildet.- Elfriede Jelinek, Oh Wildnis, oh Schutz vor ihre. Reinbek bei Hamburg  1998 (zuerst 1985)
 

Menschen, wirkliche Landleben


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