Kinderarzt   Mit diesem »recht nett aussehenden« Kinderarzt sind wir, Felice, noch nicht fertig. An dem halte ich mich noch ein Weilchen fest, er ist ein kleines Gegenstück zu der Frankfurter Geschichte und eigentlich im Grunde, wenn auch unbeabsichtigt, eine an mich gestellte Frage. Die muß ich beantworten. Wenn ich, Liebste, nur eifersüchtig, nichts anderes als eifersüchtig wäre, könnte ich nach Deiner Erzählung noch eifersüchtiger werden. Denn wenn dieser Kinderarzt eine so wichtige Angelegenheit war, daß Du eine Unwahrheit sagen mußtest, um Dich vor ihm zu schützen, dann - Aber Liebste, das ist der Gedankengang eines Eifersüchtigen, nicht der meine, wenn er mir auch immerhin zugänglich ist. Mein Gedankengang ist der: Du hattest Dich mit dem Arzt gut unterhalten, einen angenehmen Abend mit ihm verbracht, er suchte eine Anknüpfung, die an und für sich, wenigstens bis zur Grenze einer kleinen Vormittagsunterhaltung, weder Dir noch Deiner Mutter unangenehm gewesen wäre, es scheint, daß infolge des Ablehnens jener Anknüpfung eine weitere Anknüpfung ausgeschlossen oder wenigstens unwahrscheinlich ist und daran trage ich, nach Deiner Erzählung, Felice, allein die Schuld, allerdings die mir vollständig gebührende Schuld. Wie trage ich nun diese Schuld? Etwa stolz, oder zufrieden ?oderzur Aufladung weiterer Schuld verlockend? Nein,ich klage, ich jammere eigentlich, ich hätte wollen, daß der Kinderarzt zu Euch hinaufgekommen wäre, daß er sich als der nette Mensch, der er am Sylvester war, auch weiterhin bewährt hätte, daß er lustig gewesen und lustig aufgenommen worden wäre. Wer bin denn ich, daß ich mich ihm in den Weg zu legen wage? Ein Schatten, der Dich unendlich liebt, den man aber nicht ans Licht ziehen kann. Pfui über mich! - Jetzt ist natürlich wieder Zeit, den Wirbel sich in entgegengesetzter Richtung drehn zu lassen. Ich wäre zerfressen von Eifersucht, wenn ich aus der Ferne hören müßte, daß dem Kinderarzt tatsächlich alles das gelungen ist, was ich ihm auf der vorigen Seite so dringend wünschte, und die Unwahrlieit, die Du ihm sagtest, war nicht aus. Deinem reinen Innern, sondern aus mir heraus gesprochen, und ich will fast glauben, daß Deine Stimme in jenem Augenblick einen kleinen Beiklang von der meinigen gehabt hat. -Wie schließt sich aber diese Meinung mit der vorigen zusammen ? (So wird aus meiner Antwort nur wieder eine an Dich gestellte Frage.) Nur als Wirbel. Und aus diesem Wirbel sollte ich herausgezogen werden können? Das kann ich gar nicht glauben.

Übrigens weiß ich schon aus meiner Naturheilkunde, daß alle Gefahr von der Medicin herkommt, ganz gleichgültig, ob es sich diesmal um einen Augenarzt, oder dann um einen Zahnarzt und endlich um einen Kinderarzt handelt. - Franz Kafka am 5./6.Januar 1913 an Felice Bauer, nach: F. K., Briefe an Felice. Frankfurt am Main 1976

 

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